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Jerzy Prokopiuk

Hermes, Gnosis und die Kunst des Übersetzens

(Rede anläßlich der Verleihung des Übersetzerpreises der Robert Bosch-Stiftung, gehalten im Deutschen Polen-Institut, Darmstadt, am 27. Mai 1987)

Wahrhaft gerührt nahm ich heute die vielen herzlichen Worte entgegen, die anläßlich der Verleihung eines Preises ausgesprochen wurden, die gleichsam die Krönung meiner 33-jährigen Übersetzerarbeit ist, die vor allem humanistischer Literatur des deutschsprachigen Raumes - Deutschland, Österreichs und der Schweiz - gewidmet war.

Die freundlichen Worte brachten die Resultate meiner Übersetzerarbeit zum Vorschein, die Grund der Zuerkennung des so schätzenswerten und geschätzten Preises der Robert Bosch-Stiftung und des Deutschen Polen-Instituts sind.

Mit größter Freude und Dankbarkeit nehme ich diesen preis entgegen, als Ausdruck der Anerkennung für die Tätigkeit eines der vielen „Ehrenkonsuln“ der deutschen Kultur in Polen. Gleichzeitig möchte ich die Gelegenheit wahrnehmen, um in einigen Worten den geistigen Hintergrund meiner Arbeit als Übersetzer und mein Credo als Repräsentant dieser Berufung und dieses Berufes darzulegen.

Die Berufung zur Kunst und Profession des Übersetzens verdanke ich einem Gott und drei großen Menschen: so möge auch alles, was ich hier sage, ein liebevolles Laudatio ihnen zu Ehren sein.

Der einseitige Monotheismus der ersten Entwicklungsphase des Christentums lehrte und lehrt uns den Glauben an einen alleinigen und eifersüchtigen Gott. Demgegenüber verkündet das esoterische Christentum, die gnostische Strömung in seiner Entwicklung, seit dem Altertum bis zum heutigen Tage die Wahrheit von der Einheit der höchsten Gottheit und der unzähligen göttlichen Scharen, von der Einheit des Monotheismus und des Polytheismus. In unseren Zeiten haben uns gerade Gnostiker von solchem Range wie der Begründer der Anthroposophie Rudolf Steiner und der Begründer der analytischen Psychologie Carl Gustav Jung gezeigt, dass die Götter als geistige Mächte ewig, also auch heute, in der Seele und dem gesellschaftlichen Leben des Menschen wirken, ihn zu einer Mission berufend, die ihm vom Schicksal auferlegt wurde.

Der Gott, der die Menschen zur Erfüllung der Mission des Übersetzers beruft, unabhängig davon, ob sie sich dessen bewußt sind, und der auch mich berufen hatte, ist Hermes Trismegistos , der „ewig günstige Dämon“, wie ihn Goethe nennt, der schöne, der strahlende, jugendliche, freudige, scharfsinnige, kraftvolle und heitere Gott, auch Hermes Logios genannt.

Der griechische Hermes, im alten Ägypten als Toth und Anubis offenbart, wurde sogar direkt „ prophetes “ genannt - der Übersetzer - und als solcher ist er ewiger Beschützer und Vorbild aller Übersetzer.

Was von dem Gott Hermes, was von dem „Hermetischen“ lebt in jedem Übersetzer fort?

Hermes ist vor allem ein Gott-Archetypus der Dynamik, des Wandels von Sein und Nichtsein, ein Gott des Glücks, des Gewinns und Verlustes, daher auch der Kaufleute und der Diebe, ein Gott des Spiels. Und was sonst ist die Berufung und das Bestreben des Übersetzers als eine anhaltende dynamische Verwandlung von Gedanken und Worten, als eine vielfarbige Wandelbarkeit der Gefühlsübertragung, als ein Spiel von Erinnerung und Einbildungskraft, als ein ernstes Spiel der Vermittlung von Wünschen und Wollen?

Hermes ist auch ein Gott der Einheit der Gegensätze und der Einheit des Zweideutigen oder der Vieldeutigkeit: dies resultiert aus seiner vorangehenden Eigenschaft. Und wer weiß besser als der Übersetzer von der Einheit und Verschiedenheit der Bedeutungen des Menschseins und der Welt, die sich in den Worten offenbaren, die der Mensch und die Natur stiften, zu berichten?

Hermes ist ein Gefährte, ein Hirte, ein Schutzherr der Wanderer, ein Gott der Wege, ein Führer und ein Erlöser. In dieser Rolle ist er der Beschützer jedes Menschen, der den Weg des Lebens wandelt, vor allem aber eines jeden, der im Prozeß der Selbstverwirklichung die Mitverantwortung für seine eigene Entwicklung übernimmt. Als „Geist Mercurius “ war er in diesem Sinne ein Gott der Esoteriker und Alchemiker , denn er ist es nämlich, der zu den „verborgenen Schätzen“ des geistigen Lebens führt. Er ist aber auch ein Gefährte des Übersetzers: sein Führer durch den Dschungel der Bedeutungen und Worte, den er in den paradiesischen Garten einer Übersetzung verwandeln soll. Er ist es, der den Übersetzer auf den Wegen und Irrwegen der Inspiration und des Verstehens führt, der ihn über die schwierigen oder gar gefährlichen Schwellen der zu übersetzenden Texte trägt.

Hermes ist der Schutzherr aller, immer auch dem Übersetzer unentbehrlichen Erfindungsgabe, ein „Träger des Wortes“, jenes auch der Übersetzung wesentlichen Materials; er ist ein Inspirator der Kunst, war er es doch, der die zwei Urinstrumente, die Lyra und die Flöte, erfunden hatte, und ein Inspirator der Literatur. Wer könnte bezweifeln, dass ein wahres Übersetzungswerk immer auch ein Kunstwerk, des öfteren ein literarisches, bisweilen ein musikalische sei?

Schließlich ist Hermes ein Schutzherr der Magie und - in seiner höchsten Funktion - der geflügelte Bote und Vermittler („Angelos“) zwischen der Götter- und der Menschenwelt. Als „ Psychopompos “ ein Vermittler zwischen der Menschenwelt und der Traumwelt, der Welt des Lebens nach dem Leben. In der Kunst des Übersetzens nimmt dieses Symbol die Gestalt einer unfaßbaren Magie, der insbesondere poetischen Übersetzung an. Für den Übersetzer hingegen ist Hermes nicht nur der Spender von Inspiration, sondern auch derjenige, der die Brücke schlägt zwischen dem Leben der Bedeutungen und Worte der anderen. In diesem Sinne ist Hermes eben der „größte Übersetzer“: derjenige, der uns aus einer Geistwelt in die andere über-setzt .

Für mich persönlich ist Hermes nicht nur, um einen astrologischen Begriff zu verwenden, mein planetarischer Gott, da ich im Zeichen der Zwillinge geboren wurde, ein Schutzherr im Rahmen meiner Berufung als Übersetzer schlechthin, sondern auch der Beschützer auf dem Wege meiner weltanschaulichen Entwicklung und der aus ihr resultierenden Übersetzungstätigkeit.

Schon seit meinen frühen Jugendjahren wandelte ich den Weg der göttlichen Gnosis - der europäischen Esoterik, der Kirche des Heiligen Geistes, des Johannes-Christentums - deren Geschichte sich von dem altertümlichen Gnostizismus, Manichäismus , Hermetismus und der Alchemie, über die mittelalterliche Suche nach dem Heiligen Gral, dem Katharertum und der Esoterik der Tempelherren bis hin zum Rosenkreuzertum der Renaissance und des Barocks, als auch zur Anthroposophie und der analytischen Psychologie im 20.Jahrhundert erstreckt.

Es waren drei Wegbereiter eines zukünftigen Wissens, einer zukünftigen Kultur und einer planetarischen Kultur, die vor allem meine Weltanschauung geprägt haben:

Johann Wolfgang Goethe, der größte unter den Deutschen, nicht nur ein Lyriker, Autor des „Faust“ und des „Wilhelm Meister“, sondern auch ein Verehrer des Geistes in der Natur, ein Gelehrter der Zukunft, der die Wissenschaft auch als Kunst und Religion pflegte;

Carl Gustav Jung, der große Schweizer Tiefenpsychologe, der unvergleichliche Erforscher des Geistes in der menschlichen Seele, Bahnbrecher des „Paradigmas der Einbildungskraft“ als einer neuen Vision der menschlichen Psyche;

der Österreicher Rudolf Steiner, der Größte unter ihnen, der Schöpfer eines zukunftsträchtigen Wissens: der Anthroposophie, d.h. eines „Wissens, das den menschlichen Geist zum Geiste des Kosmos führen möchte“, einer Erkenntnis der Geistwelt an sich.

Ein Leben in und für die Gnosis war die Antriebskraft meiner Berufung als Übersetzer. Aus Hermes` Eingebung hat mir dieses Lebens mein Schicksal und meine Berufung als eines der „Pontifices“ zugewiesen: Brücken zu schlagen zwischen der Geisteswelt einer Kultur, Deutschland, Österreich und die Schweiz umfassend, und der Geisteswelt meiner heimatlichen polnischen Kultur. Das Leben in der Gnosis hieß mich, meine Kräfte der Vermittlung der wertvollsten Geisteswerke deutschsprachiger Kultur zu widmen: jenen Werken, die das inständige menschliche Bemühen offenbaren, ein Wissen und Schauen der Geisteswelt anzustreben, d.h. den Werken sowohl von Meister Eckart als auch Angelus Silesius , von Goethe, Schiller und Novalis, als auch von Rudolf Steiner und C.G. Jung.

Ich möchte den Repräsentanten der deutschen Kultur erneut aufs Herzlichste für den mir zuerkannten Preis danken und abschließend meiner Freude Ausdruck verleihen, die unablässig genährt wird von der ständig offenen Bereitschaft ,einer Landsleute zur Aufnahme jener Geistesgaben der deutschen Kultur, deren kleinen Teil zu vermitteln mir gegeben wurde. Diese Bereitschaft überlebte nämlich nicht nur die tragischen Zeiten zwischen 1939 und 1945, sondern auch alle politischen Verirrungen der Nachkriegsjahre, bis hin zu den dramatischen Ereignissen von 1980/81. Und gerade aus dieser Bereitschaft können wir Hoffnung schöpfen, dass die bisweilen aufbrausenden Wogen der politischen Unterschiede, die die Nationen trennen, nicht die kulturellen Brücken abbrechen müssen, die die Nationen einen.

Quelle: Beiträge zur Dreigliederung, Anthroposophie und Kunst, Heft 47.

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