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Hört, hört!

Friedrich Nietzsche

Wenn ein Ausländer unser Universitätsleben kennenlernen will, so fragt er zuerst mit Nachdruck: "Wie hängt bei euch der Student mit der Universität zusammen?" Wir antworten. "Durch das Ohr, als Hörer." Der Ausländer erstaunt: "Nur durch das Ohr?" fragt er nochmals. "Nur durch das Ohr," antworten wir nochmals. Der Student hört... Sehr häufig schreibt der student zugleich, während er hört. Das sind die Momente, in denen er an der Nabelschnur der Universität hängt. Er kann sich wählen, was er hören will, er braucht nicht zu glauben, was er hört, er kann das Ohr schliessen, wenn er nicht hören mag. Dies ist die "akroamatische" Lehrmethode.

Der Lehrer aber spricht zu diesen hörenden Studenten Was er sonst denkt und tut ist durch eine ungeheure Kluft von der Wahrnehmung des Studenten abgeschieden. Häufig liest der Professor, während er spricht. Im allgemeinen will er möglichst viele solcher Hörer haben, in der Not begnügt er sich mit wenigen, fast nie mit einem. Ein redender Mund und sehr viele Ohren, mit halbsoviel schreibenden Händen - das ist der äußerliche akademische Apparat, das ist die in Tätigkeit gesetzte Bildungsmaschine der Universität. Im übrigen ist der Inhaber dieses Mundes von den Besitzern der vielen Ohren getrennt und unabhängig: und diese doppelte Selbständigkeit preist man mit Hochgefühl als akademische Freiheit. Übrigens kann der eine - um diese Freiheit noch zu erhöhen - ungefähr reden, was er will. der andere ungefähr hören, was er will: nur dass hinter beiden Gruppen in bescheidener Entfernung der Staat mit einer gewissen gespannten Aufsehermiene steht, um von Zeit zu Zeit daran zu erinnern, dass er Zweck, Ziel und Inbegriff dieser sonderbaren Sprech- und Hörprozedur sei.

(Aus Friedrich Nietzsche: Über die Zukunft unserer Bildungsanstalten. 1872).