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Hellmut Finsterlin:

Begegnung mit Hugo Erbe [1]

Als ich, Frühjahr 1947, meinen Hof im Landkreis Stockach zu bewirtschaften begann, gesellte sich zu uns - zu meiner Frau und mir - ein junger Mann, der uns auf ein Jahr helfen wollte. Das heruntergewirtschaftete Anwesen wollten wir zu nichts weniger als zu einem musterhaften biologisch-dynamischen Umtrieb hochwirtschaften. Angesteckt von unserer Begeisterung half uns Peter Vilter mit wahrer Hingabe. Während der durch die Einnahme der Mahlzeiten hervorgerufenen meist etwas kurz ausgefallenen Arbeitspausen erzählte Peter Vilter, sanguinisch von Temperament, gerne allerlei Fabelhaftes, das er, der Achtzehnjährige, gerade noch im Kriege und vor allem auch dort erlebt hatte, wo er vor uns ein Jahr lang gewesen war. Unwahrscheinlich wie seine Kriegserlebnisse klang auch, was er von dem „Hof in Tobel“ in Roggenbeuren bei Markdorf und dessen Bewirtschafter, einem Mann namens Hugo Erbe, zum besten gab. Griff er eines dieser Themen auf, so schmunzelten wir in Erwartung wundersamer Mären meist schon vor Beginn der Erzählung.

Später hatte ich Grund zu bedauern, nicht besser zugehört zu haben. Vorerst gingen die Geschichten, in denen der Erzähler so erfüllt war von dem Menschen Hugo Erbe und dessen Ausstrahlung lebte, den Weg des sogleich Vergessenwerdens, ja das Zuhören wurde fast lästig. Geblieben war jedoch der Eindruck, dass es sich bei Erbe um einen ungewöhnlich genialen Beobachter der Natur und inspirierten Partner schaffender Naturwesen handeln mußte und um einen Meister, der die Menschen seiner Umgebung in Worten und Taten an ihren Seelenkern, den verborgenen, wahren Menschen in der Maja ihrer äußeren Erscheinung erinnerte. War zum Beispiel jemandem ein Fehler unterlaufen und wollte er sich dann üblicherweise herausreden mit „Ich habe gedacht...“, dann unterbrach Erbe mit der Frage: “Wer hat gedacht?“ Beim Verrichten der Landarbeiten verlangte er ein Bewußtsein dafür aufzubringen, dass man nicht nur mit toten Mineralstoffen des Bodens und neutralem Grünzeug, sondern mit allerlei lebendigen Geistwesen umging. So hätte es zum Beispiel am Tobelhof einen schon älteren, immer sehr reich tragenden Apfelbaum der Sorte Gravensteiner gegeben, dessen Früchte von jeher stark von Schorf (Fusicladium dendriticum) befallen waren. Erbe habe sich eines Nachmittags unter den Baum gesetzt und nachgedacht. Nach einer Weile sei er aufgestanden und hätte verlangt, man solle viel in der Nähe wachsendes Farnkraut holen. Dieses hätte er zerhackt und in eine Tonne mit Wasser gegeben. Nachdem es durchgegoren war, hätte er mit dieser Jauche den Baum bis zum Triefen bespritzt. Die Ernte wäre hernach zum ersten Mal völlig frei von Schorf gewesen.- Eine Tages sei ein Mann zu Erbe gekommen, dessen Arm wegen einer fortgeschrittenen Blutvergiftung noch am selben Tage hätte amputiert werden sollen. Erbe habe den Arm in einen dicken Verband kleingehackter Calendula-Pflanzen eingepackt und empfohlen, mit der Amputation zu warten. Nach wenigen Tagen sei die Entzündung vollkommen zurückgegangen und der Arm gerettet gewesen.

Von den vielen Geschichten blieben mir diese in Erinnerung, wohl deshalb, weil ich an ihnen weniger Zweifel hatte als an anderen. Die Sache mit dem Farnkraut probierten wir aus und es erwies sich deren Wirksamkeit überzeugend. Sagenhaft jedoch erschien, was Peter Vilter von dem Umgang Erbes mit Wildgräsern berichtete. Erbe habe einige Beete mit kommunen Gräsern gehegt, die er von Zeit zu Zeit mit einer Flüssigkeit bespritzte, die er, der von Haus aus Sänger war, vorher besungen habe. Zu diesem Zwecke habe er sich ein Tuch über den Kopf, den er über den Eimer beugte, gestülpt und hätte dann Töne in bestimmten Intervallen intoniert. Das Ernteergebnis der Samen hätte erstaunlicherweise Körnchen gezeigt, die entgegen der Botanik Ansätze von Mehlkörpern aufwiesen.

Die Bezeichnung Stärke für den Inhalt des Mehlkörpers des Kornes laute nicht umsonst so. Sie habe zu tun mit dem instinktiven Wissen unserer Vorfahren, dass im Stoff des Brotes die Kraft Christi in Erscheinung trete, die in der Bibel dessen „Stärke“ genannt sei.- Man müsse überhaupt sehr viel feiner auf die Weisheiten des Sprachgeistes horchen. So laute der Name des Essigs nicht ganz zufällig wie „Eß` ich“, denn man esse mit dem Essig tatsächlich saure Ich-Kraft der Natur. Diese bliebe vom Weise nach Umsetzung des Alkohols, der des Menschen Ich ins All weg holt, zurück. Als Widerspiegelung der unendlichen Sphäre entstehe im Gärtopf die „Mutter“ genannte Haut, aus der in die Flüssigkeit in der Gestalt der Älchen das Saure, eben der Essig einträufelt. Kosmische Ich-Kraft wird umgesetzt in einen Erdenstoff, der das Ich in die Vereinzelung, in den Leib, hineinzieht.

Auch der Brotlaib heiße nicht umsonst nach dem Leib. Wer das Geheimnis von Wein und Brot kenne, würde die Substanzen kennen, die Beim Bachvorgang das Brot zum Laibe formen. Wer das Geheimnis von Wein und Brot kenne, würde die Substanzen kennen, die beim Backvorgang das Brot zum Laibe formen.- Von der Leber habe Erbe gesagt, sie sei tatsächlich das „Lebensorgan“, die Riesendrüse, die der Zentralsitz des Lebensleibes (Ätherleibes) sei. Sie wirke wie ein Ventil, das je nach Bedarf mehr oder weniger geöffnet sei und nur das durchließe, was der Lebensleib gerade noch an Schädigung (durch seine Bewußtseinshüllen: Astralleib als Triebleib, Bewußtseinsseele als dem Leben entgegengesetzte Kraft) ertragen könne. Der Alkohol schädige die Leber, weil er sie außer Betrieb setze und die Ausschaltung ihrer Funktion zuerst sie selbst zerstöre. Die Leber arbeite ähnlich wie das „Rebell“ genannte Ventil an der Dampfmaschine. Wird der Druck kräftig, dann dreht es sich rasch. Dabei gehen durch die stärkere Fliehkraft zwei Kugeln auseinander und öffnen das Ventil weiter, so dass mehr Dampf entweicht. Mindert sich nach abgelassenem Dampf der Druck, dann senken sich die beiden Kugeln und das Ventil schließt sich dadurch. Lese man das Wort Leber umgekehrt, so komme Rebel heraus: “Rebell“! Die Leber als Rebell gegen kosmischen Überdruck. Bewundernswerte Weisheit des Sprachgeistes!

Solche und viele andere Hinweise habe ich später von Erbe selbst gehört. Vorläufig klang solches aus dem Munde Peter Vilters nicht unbedingt überzeugend. Das Jahr ging herum und Vilter verließ uns. Auf der Suche nach einem neuen Mitarbeiter trafen wir auf einen reifen Mann namens Gabriel Klotz, der nach Peter Vilter unser zweiter Mitarbeiter auf diesem Hof wurde. Wer beschreibt unsere Überraschung, als sich herausstellte, dass Gabriel Klotz viele Jahre zusammen mit Hugo Erbe zugebracht hatte. Auch er war erfüllt von dem Geiste dieses Mannes und erzählte bei jeder Gelegenheit von ihm.

In den 30er Jahren war er bei Erbe, dem Inhaber einer Bäckerei und Konditorei nahe am Münsterplatz in Ulm, Chauffeur gewesen. Es entstand, wie Klotz sagte, eine Freundschaft, die sich vor allem im beiderseitigen - bei Klotz wohl erst geweckten - Interesse an Mineralien traf. Sie suchten gemeinsam Steiner und unternahmen zu diesem Zwecke viele, oft weite Autoreisen. Unterwegs konnte es geschehen, so berichtete Klotz, dass Erbe unvermittelt halten ließ, den Geologenhammer in der Hand ausstieg und in einem Wald verschwand. Zielbewußt ging er auf einen Felsen zu, klopfte mit dem kleinen Hammer und holte eine Amethystendruse mit großen Kristallen heraus. Dergleichen sei mehr als einmal vorgekommen. Erbe habe ein unglaubliches Gespür für das Vorkommen von Mineralien gehabt. Auf bewundernde Äußerungen habe er abgewehrt: Man müsse nur ein gutes Verhältnis zu den Gnomen unterhalten, dann zeigten sie einem, wo ihre Kunstwerke verborgen lägen.- Mit der Zeit hätte Erbe eine Mineraliensammlung zusammengetragen, die an Vollständigkeit ihresgleichen suchte. So wären beispielsweise alle an die 800 verschiedenen Kalkspate vorhanden gewesen, die kaum eine Sammlung vorweisen konnte.

Anläßlich des großen Bombenangriffs auf Ulm im Jahre 1943 brannte die Bäckerei Erbes bis auf den Grund nieder. Dabei wurde auch die einzigartige Mineraliensammlung zerstört. Die Flammen des Brandes erstrahlten in den durch die verglühenden Mineralien hervorgezauberten wundervollsten Farben. Es sei ein Anblick irdischer Tränen und himmlischer Auferstehungsschönheit gewesen, sagte mir Erbe später. (Der Zufall wollte, dass ich im Jahre 1943 kurz vor dem großen Bombenangriff auf der Reise im Fronturlauberzug in Richtung Charkow in Ulm Aufenthalt hatte. Ich benutzte ihn, um auf den Münsterturm zu steigen. Die Stadt lag im Frühlingsglanze, unzerstört, ein Bild des Friedens. Ich genoß diese stille Stunde mit der Folge, dass ich den Anschlußzug verpaßte. So kam ich erst vier Stunden später weiter. Als wir in Breslau in den Bahnhof einfuhren, hielt der Zug nicht weit von einem anderen, dessen Waggons völlig ausgebrannt waren. Es war dies der Zug gewesen, den ich eigentlich hätte benutzen müssen. Irgendwo in Schlesien war er bombardiert worden. Es gibt merkwürdige untergründige Zusammenhänge!)

Erbe hatte freilich schon 1941 in Ulm das Feld räumen und sich irgendwo fern in der Provinz verborgenhalten müssen, da er aus seiner Gegnerschaft zum Nazismus kein Hehl machte. Er sagte jedermann klar und offen seine Meinung über das Verbrechertum der damals Regierenden. Als ihn einmal ein Anthroposoph und biologisch-dynamischer Landwirt in Naziuniform aufsuchte, wies er ihm die Türe mit der Auflage, nie wieder sich zu unterstehen, sein Haus zu betreten. Es war dem Umstand, dass der in Ulm führende SS-Offizier Schulkamerad von Erbe gewesen war zu verdanken, dass Erbe vor seiner Festnahme und naheliegenden KZ-Haft gewarnt wurde und untertauchen konnte. Damals erwarb er den schon genannten Tobelhof, ein Gütchen von 5,5 Hektaren, dessen hauptsächliche Länderei aus einem Bachtälchen, eben dem „Tobel“ bestand. Da nun Erbe die zum Erwerb landwirtschaftlichen Bodens verlangte „Bauernfähigkeit“, also wenigstens die Gehilfenprüfung, nicht vorweisen konnte und es in Anbetracht der politischen Umstände angezeigt schien, möglichst nirgends in amtlichen Urkunden erwähnt zu werden, schickte er den Landwirt Gabriel Klotz vor, der den Hof für Erbe erwarb.

Auch Klotz, der sich übrigens in dieser Sache nicht von seiner besten Seite zeigte, erzählte allerlei von den Wundern der Gräser, die Erbe in Getreide wandelte. Es machte mich dies nun endlich doch neugierig und ich beschloß, Erbe aufzusuchen. Klotz, der wohl unter der Nichtbewältigung seines Verhältnisses zu Erbe litt, an wechselhaften Stimmungen, gelegentlich wohl auch an regelrechten Depressionen krankte, verließ uns im späten Sommer. Eines Morgens im Herbst machte ich mich auf den Weg nach Ludwigshafen am Bodensee, um dort einen Zug zu erreichen, der mich nach Markdorf, dem Städtchen, in dessen Kreis Roggenbeuren liegt, bringen sollte. Zu diesem Ziel mußte ich eine bewaldete Anhöhe überqueren. Als ich in der Morgendämmerung aufbrach, herrschte dichter Nebel. Auf der Höhe wurde der Nebel noch dichter und, da es noch dunkel war, war die Sicht so schlecht, dass ich den selten begangenen Fußweg nicht mehr vom übrigen Gelände unterscheiden konnte und mich allein meinem Richtungssinn anvertrauen mußte. Meiner Meinung nach ging ich geradeaus nach Süden und kam dann auch nach längerem Marsch dorthin, wo Häuser mit beleuchteten Fenstern waren. Es konnten dies nur die von Ludwigshafen sein. Ich klopfte also beim nächstliegenden Haus an ein Fenster. Eine ältere Frau öffnete und ich fragte: “Wo geht's denn hier zum Bahnhof?“ Antwortete die Frau: “Ja guten Morgen Herr Finsterlin! Bahnhof? Sie sind aber früh unterwegs. Kommen Sie jetzt erst heim?“ Jetzt erkannte ich die Frau. Ich war im Kreis herumgegangen und befand mich am Ortseingang meines Dorfes, in dem es gar keinen Bahnhof gibt. An diesem Tag war nun nicht mehr an eine Reise nach Markdorf zu denken. Da allerlei anderes dazwischen kam, verging noch ein ganzes Jahr, bis ich den Besuch dann durchführen konnte. Rückblickend schien mir deutlich, dass die Verschiebung um ein Jahr ihr Gutes hatte. In dieser Zeit machte ich auf dem Hof noch einige neue Erfahrungen in der Bewältigung meiner mir selbst gestellten biologisch-dynamischen Aufgabe. Ohne sie hätte ich vielleicht dem, was ich bei Erbe erfuhr, nicht dieselbe Bedeutung zugemessen, die ich dann erkannte.

Erster Besuch in Roggenbeuren

Als ich dann im Herbst 1949 nach Roggenbeuren kam und den Hof betrat, war der Eindruck, den ich sogleich von Erbe gewann, überwältigend: Löwenhaupt, Feuergeist. Ich hatte das Gefühl, einem Großen gegenüberzustehen, der das Maß, mit dem man gewöhnlich mißt, sprengte. Man konnte dies vielleicht auch übersehen, lebte er doch in denkbar bescheidenen Verhältnissen. Das alte Bauernhäuschen schien wackelig, die Räume klein und einfach mit selbstgebauten Möbeln eingerichtet. Erbe sprach ein unverfälschtes Schwäbisch wie die Bauersleute von der Alb. Seine Sprache besaß dennoch oder gerade deshalb Macht. Seine ausdrucksvollen Gesichtszüge, nachdrücklichen Gebärden, das wallende Weißhaar und die oft aufleuchtenden Augen mochten manchen Besucher wohl kleinlaut machen. Ich steckte voll der Fragen und war ganz Ohr.

In großen Zügen gab er mir ein Bild des Waltens der geistigen und der seelischen Welt und ihrer in der Natur wirkenden Wesen. Er sprach von ihren Taten im Ätherischen der Erde und deren Abdrücke bis ins Stoffliche. Wie ein schweifender Zauberer Merlin kam er mir vor, der mit Gruppengeistern der Tier- und Pflanzenwelt und mit den Individualitäten des oberen Devachan, deren physische Leiber im Mineralreich in Erscheinung treten, auf du und du stand. Er sprach von der Gestaltungskraft des Kohlenstoffs, vom Leben und Sterben des Sauerstoffs, vom Stoff verdichtenden und entlassenden Phosphorus, genannt Wasserstoff, vom gewaltigen Schlepper vom Leben zur Form und von der Form zum Leben, Stickstoff, von Vulkan, dem Schwefelbenetzer, ohne den nichts geht und vom geheimnisvollsten Lebensschöpfer Ozon, von dem er nur im Flüsterton sprach. Die Natur belebte sich einem, wenn er erzählte und von den Scharen Luzifers und Ahrimans, die draußen in der Landschaft frei von Moral den wahren Mercurius als dessen Brüder zur Verwandlung führen, bei den Pflanzen zum Beispiel vom Blatt zur Blüte oder zur Form und Funktion der Wurzel. Das Moralische beginnt erst in der menschlichen Seele, wo diese Wesen zum Widersacher ihrer Befreiung werden.

Ich fragte ihn nach den Präparaten. Er erklärte mir, wie sich ganz besonders im Rind und da besonders im weiblichen Tier ein Chemismus abspielt, von dessen Weisheit wir Menschen mit unserem gewöhnlichen noch so scharfen Verstand nichts wissen können, in die wir eindringen werden in langandauernder geduldiger Meditation. Er stellte die vier Mägen des Rindes dar in ihrer Funktion als Gärtopf (Pansen), als Rücktransporter ins Tiermaul (Haube), wo der Speisebrei mit Sinnesqualitäten durchzogen wird, als dem eigentlichen chemischen Laboratorium (Labmagen), wo die Stoffe umgewandelt und zu körpereigenen Ätherarten geformte werden, zum Auslesemagen (Psalter oder Buch), wo letztlich geschieden wird, was noch aufnehmbar von dem, was auszuscheiden ist. Die Kuh, so meinte Erbe, wäre die größte Lehrmeisterin in organischer, geistvoller Chemie, verstünden wir sie.

Man müsse, meinte er, darüber nachdenken, welche Funktionen die inneren Organe ausüben, die man als Umhüllung oder Gefäß für bestimmte Heilpflanzen nehmen könne. So habe er sich lange überlegt, wie man ein Präparat finden könne, welches den Kreislauf vom Untergrund über die Ton- und Humusschicht in das Leben hinein anregt, jenes von Steiner versprochene, aber dann nicht mehr angegebene Ton-Präparat. Das Herz wäre das prädestinierte Organ, doch läßt sich der Herzbeutel als Umhüllung nicht verwenden, da er keinen Leerraum aufweise. Beim Zusehen, wie eine Kuh wiederkäute, sei ihm plötzlich das Licht aufgegangen, als er das Spiel zwischen Schlucken und Heraufholen des Bissens beobachtete. Er beschaffte sich - möglichst aus eigener Schlachtung - die Gurgel einer Kuh, füllte Tonerde hinein und setzte das so bereitete Organ den Kräften des Frühlings aus und zwar weder über noch unter, sondern auf dem Niveau des Erdbodens. Im selben Sinne verfertigte er ein Kalkpräparat, indem er einen Röhrenknochen der Kuh mit gemahlenem Kalkspat (Urkalk) ausfüllte und den Winter über in eine Eiche hing. So stünde ihm in Weiterverfolgung der Anregungen des Landwirtschaftlichen Kurses Steiners nunmehr außer dem Kieselpräparat auch ein Kalk- und ein Tonerde-Präparat - beide wie das Kieselpräparat anzuwenden - zur Verfügung. Diese Präparate habe ich später unter verschiedenen Standortbedingungen mit großem Erfolg angewendet. Freilich, dass da Erfolg eintrete, gehört noch mehr, als bloß zu wissen, wie man`s macht. ...

„Eigentlich“, meinte Erbe, „ist sich Rudolf Steiner nicht ganz treu geblieben, als er die These aufstellte, man solle auf Organisches nur durch Organisches wirken, dann aber das Präparat angab, das aus pulversiertem Quarz hergestellt wird.“ Er schob das auf die mangelhafte Aufnahmefähigkeit der damaligen Kursteilnehmer. Er habe sich darum bemüht, ein organisches Quarzpräparat aus der reinen Quarzsubstanz des Kuhauges herzustellen. Auf solchen Wegen könne man auch zu organischen Ton- und Kalkpräparaten kommen. Es sei schon sehr nötig, im Sinne des Landwirtschaftlichen Kurses weiterzuforschen, da sich seit dem Jahre 1924, als der „Kurs“ abgehalten worden war, ungeheuer vieles in der Umwelt verändert habe. Er erinnerte daran, dass 1924 der erste Radiosender auf dem europäischen Kontinent in Nauen bei Berlin in Betrieb genommen worden ist. Man müsse bedenken, dass das immer dichter werdende Netz von Radiowellen, welches den Erdplaneten einspinne, viel von den Astralkräften abschirme, auf die man bei der Herstellung der in Koberwitz angegebenen Präparate reflektiert. (Ähnliches hatte übrigens auch Dr. Ehrenfried Pfeiffer als Versuchsergebnis festgestellt.) Erbe wies auf die Mannigfaltigkeit der Naturwesen und der Sternenrhythmen, deren Fülle unendliche Möglichkeiten der Nutzbarmachung für den Ackerbau böten, sofern der Mensch dahin käme, die Fähigkeiten seines exakten Denkens in Verbindung mit dem Schöpferischen seiner Phantasie einzusetzen. Wenn irgendwo bestimmte Ackerunkräuter in Massen aufträten, zeigten die Böden, wessen sie bedürfen. An keiner Stelle seines Landwirtschaftlichen Kurses habe Steiner behauptet, die von ihm angegebenen Präparate seien die „einzigen und allein selig-machenden“.

Alles, was da an neuen, großartigen Gesichtspunkten auf mich eindrang, saugte ich wie ein Schwamm in mich hinein.. Im Handumdrehen war es Mittag geworden und Frau Erbe, eine bescheidene, liebevoll-mütterliche Frau, begann den Tisch zu decken. Die Zeit war mir davongelaufen. Ich erhob mich erschrocken, doch forderte man mich so freundlich auf, zum Essen zu bleiben, dass ich mich gerne fügte. Es gab Fisch; muß wohl ein Freitag gewesen sein. Nach dem Essen setzte sich das Gespräch zwanglos fort. Erbe sagte, er spüre den Phosphor des eben genossenen Fisches. Es flimmere ihm der reine Lichtstoff förmlich in den Augen, er rege seine Denkbereitschaft an. So saßen wir bis zum Einbruch der Dunkelheit in äußerst angeregtem Gespräch, bis ich mich verabschieden und aufbrechen mußte.

Zuhause angekommen konnte ich zunächst kaum berichten, inwiefern sich an diesem Tage ein Riesensprung in der Erweiterung meines Horizontes vollzogen hatte. Zum ersten Mal hatte ich nicht nur schön gedachte, mehr oder minder langweilig beschriebene Anthroposophie von einem Nachfahren Steiners vernommen, sondern Anthroposophie erlebt und erfahren und angewandt! Freilich war ich zunächst von all den verschiedenen Perspektiven und Aspekten - die oben nur angedeutet werden konnten -, von der um Meilen erweiterten Betrachtungsweise derart angefüllt, dass es mir vorerst unmöglich war, Einzelheiten auseinanderzulegen und irgendeine Systematik in das Ganze hineinzubringen. Ich befaßte mich bereits mit Gedanken, wie ich eine Menge Präparate machen könnte, um alle Fruchtbarkeitsschwierigkeiten meines Hofes in den Griff zu bekommen. Es war schon eine gewisse Schwärmerei in mich gefahren. Nachts träumte ich dann, ich setze Kompost auf und präpariere ihn mit Zementpulver. Das war mir der rechte Hinweis dafür, dass ich alles zunächst viel zu materiell auffaßte. Auch dieses, dass ich Erbe im Traume als großartigen Redner erlebte und dann zusehen mußte, wie er sich langsam in einen Narren wandelte, führte mir vor, dass ich selbst drauf und dran war, das Sinnvolle in Narretei zu verwandeln. Daraus zog ich den einzig möglichen Schluß, dass mit dem, was ich erfahren hatte, eine neue Arbeitsära beginnen müsse. Ich hatte nichts Fertiges, sondern Anregungen empfangen. Es wollte verinnerlicht werden, was zunächst wie eine Fülle leicht zu handhabender Columbus-Eier aussah.

Erbe in seiner Zeit

Im Laufe meiner Lebensbahn war es mir vergönnt, eine ganze Anzahl genialischer Naturen kennenzulernen, sowohl innerhalb wie außerhalb anthroposophischer Kreise. Bei bedeutenden Schülern Rudolf Steiners entstand mir der Eindruck, dass deren Genie durch den geistigen Zündfunken Rudolf Steiners erst richtig geweckt worden war. Erbe unterschied sich von ihnen. Er war ein durch und durch unabhängiger, selbständiger Geist. Er selbst hatte, wohl angeregt durch Rudolf Steiner, die Höhen und Tiefen, von denen er sprach, auf die er wies, selbst erwandert. Drastisch konnte er zurückweisen, was ihm an menschlicher Unselbständigkeit und Nachbeterei entgegenkam. Man hat ihm das gerne als Zügellosigkeit des Temperaments ausgelegt. Gewiß, er nahm sich nicht allzusehr zusammen, wenn ihm etwas mißfiel, aber er hatte oft Grund genug, zu donnern und leidvoll erkennen zu müssen, wie sehr der Fortschritt besonders der anthroposophischen Bewegung gehemmt wurde durch die Mittelmäßigkeit und die Unfähigkeit, das Denken in Schwung zu bringen. Es verursachte ihm das Leiden, die bis in das Physische drangen.

Im Laufe der folgenden Jahre besuchte ich, so oft es meine dichtgedrängte Arbeitszeit erlaubte, Erbe auf dem Tobelhof. Da die Reise per öffentlichem Verkehrsmittel sehr umständlich war und wir natürlich kein Auto hatten, legte ich den Weg per Fahrrad zurück. Das bedeutete 60 km strampeln, und dies konnte ich mir nur an Sonn- und Feiertagen leisten. Infolgedessen kam es relativ selten zu Besuchen.

Eines Sonntags kam ich am frühen Nachmittag an, als vor dem Hause bereits an die 20 Personen warteten. Man hatte ausgerichtet, Erbe sei vor vier nicht zu sprechen. So wartete ich mit den Anderen und fragte ein wenig herum, was wohl von Erbe erwartet würde. Es stellte sich heraus, dass es sich um Kleingärtner handelte, die so gut wie gar kein Verständnis für Erbes Gedankengänge, sondern nur den Wunsch hatten, mit Hilfe der „neuen Präparate“, wie sie sagten, mehr Radieschen zu ernten. Ein älterer, magerer Mann sagte: “Mit den hergebrachten Präparaten kamen wir ja nicht zurecht. Aber jetzt hat uns Herr Erbe die neuen Präparate geschenkt“ - er sagte „geschenkt“ - „und da geht es viel besser!“ Es gab nachher eine Art Fragestunde. Die Zusammenkunft war arg mittelmäßig und langweilig. Aber die Leute, die da zusammenkamen, verehrten Erbe wirklich. Manchmal hatte ich den Eindruck, es gab nur solche Freunde, die Erbe schätzten. Womit nicht das Geringste gegen Kleingärtner gesagt sein soll, nur dieses, dass Erbes Intentionen mit der Ernährungssituation der gesamten Menschheit zusammenhingen.

Es war mir bei dieser Gelegenheit und später auch bei Anlässen, wo an sich angesehene und wohl ausgebildete Anthroposophen mit Erbe redeten aufgefallen, wie wenig Verständnis er fand. Einfache Leute übersahen ihn entweder oder sie verfielen in eine unangebrachte Servilität. Gebildete dagegen behandelten ihn wie ihresgleichen, nämlich so, als ob er genau denselben engen Horizont habe wie sie. Dieser Mangel an Unterscheidungsvermögen erstaunte mich. Sie hätten profitieren können, hätten sie Fragen gestellt, aber sie glaubten, sie müßten ihn belehren. Es war zu bemerken, dass sich manche Seelen dagegen wehrten, einen ihnen überlegenen Geist als solchen anzuerkennen. Es war oft, als gäbe es eine verborgene Furcht gegenüber jemandem, der weiter zu denken gewohnt war als die Allgemeinheit. So kam die Mär auf, Erbe stelle den Anspruch, als Überlegener behandelt zu werden, wovon keine Rede sein konnte. Auch wurde manche üble Nachrede erfunden und verbreitet. Erbe erfuhr nahezu einmütige Ablehnung und Fehleinschätzung, und so ging er als ein Nahezu Unbekannter durch die anthroposophische Bewegung und heute, eineinhalb Jahrzehnte nach seinem Tod (die vorliegende Arbeit wurde 1980 verfaßt, d. Setzer), ist er so gut wie unbekannt. dass es einem ungewöhnlichen und selbständigen Geist innerhalb der Bewegung so gehen konnte, müßte und allen eine nachdrückliche Warnung sein. Würde man fortfahren, die Fähigsten nicht anzunehmen, so müßte das zum Versanden des anthroposophischen Lebens führen.

Über Erbes Pflanzenzucht

Meine Besuche bei Erbe dienten auch dazu, das kennen zu lernen, was aus Hugo Erbes Verwandlungen von Wildgräsern in Kulturgetreide zu sehen war. Er zeigte mir Gräser in verschiedenen Wandlungsstadien, Rispengräser, Glatthafer, Wiesenschwingel, Straußgras und ähnliche. Es ist nun schon so lange her, dass ich mich nicht an alle einzelnen Grasarten erinnern kann. Sehr deutlich sehe ich noch ein Zittergras, dessen Ährchen normalerweise so groß wie ein dickerer Stecknadelkopf  sind. Sie hatten Daumennagelgröße. Erbe hatte Musterexemplare dieser Gräser auf dunklem Hintergrund hinter Glas in Wechselrahmen gebracht, um sie vorzeigen zu können. Er zeigte sie mir bereits bei meinem Besuch anno 1949. Auch die Samenkörner konnte er vorweisen. Alle die schon einige Jahre behandelten Grassamen, die von Natur aus keine Spur eines Mehlkörpers aufweisen, zeigten deutliche Anzeichen der Stärkebildung. Neben den in Umwandlung begriffenen, zeigte er mir auch voll entwickelte Dinkel und Weizen, jeweils die Ähren, die Körner und das Stroh. Einen aus der Wildform hervorgegangenen Dinkel sah ich feldmäßig angebaut, wenn ich mich recht erinnere, im Jahre 1950, in Roggenbeuren. Der Anblick war überzeugend, ja man möchte sagen, überwältigend. Es gab Pflanzen darunter, die sich bis zu zwanzigfach bestockt hatten, und keine, die nicht wenigstens sechs Halme trugen. Jeder Halm war mit einer unglaublich langen Ähre versehen, die meiner Erinnerung nach bis zu 30 cm lang waren. (Im normalen Getreidefeld bestocken sich die Getreide ein bis dreifach.)

Die Ähren dieses Dinkels enthielten im Durchschnitt 80 Körner, manche bis zu 100 und mehr. Eine optimal entwickelte, aus einem einzigen Korn hervorgegangene Getreidepflanze konnte also mehr als 20 Halme mit ebensoviel Ähren, jede an die 100 Körner enthaltend, hervorbringen. Das sind 2000 Körner aus einem Samenkorn! Dies auf einem augenscheinlich armen Boden auf einem Ackerstückchen am halben Hang des „Tobel“. Die Pflanzen waren so hoch gewachsen, dass ein aufrecht gehender Mann darin verschwand. Das Mehl aus diesem Korn soll einen ungewöhnlich hohen Klebergehalt gehabt haben, das Brot daraus, welches Erbe mit dem von ihm entwickelten Backferment aus Honig und Erbsmehl buk, wurde von solchen, die es genossen hatten, hoch gelobt.

Nachdem man nach Erbes Tod (1965) lange nichts mehr über seine Getreidezüchtungen gehört hatte, ist jetzt zu erfahren, dass schon seit 1977 in Versuchspflanzungen wieder von Georg Wilhelm Schmidt im Chiemgau (Bayern) angebaut wird, Die bis jetzt gemachten Erfahrungen sollen gute sein. Für die Veröffentlichungen von Berichten, sagt Schmidt, sei es noch zu früh. (Hellmut Finsterlin verfaßte diesen Artikel im Jahre 1980. A.W.)

Erbe hatte sich auch mit der Umwandlung anderer Pflanzen befaßt. So schwebte ihm vor die Züchtung süßer, nahezu kernfreier Hagebutten in Tomatengröße und ein artischockenartiges Gemüse aus Disteln, deren Fruchtböden Ansätze zur Fleischbildung bieten. Betont muß werden, dass Erbe nichts davon hielt, bestehende Kulturpflanzen zu regenerieren. Die heute bestehenden Sorten hielt er für weitgehend „aufgebraucht“ sowohl durch die modernen Anbaumethoden als auch besonders wegen der auf Kreuzung beruhenden Züchtungen, die, wie er meinte den Pflanzen die urtümliche Kräfte mehr und mehr wegnehmen. Aus diesen Gründen konzentrierte sich Erbe allein auf die Veredlung von Wildformen. Er betonte sogar, dass der Erfolg der Züchtung nach seiner Methode um so nachhaltiger eintritt, je „wilder“, also je weniger verbildet die Ausgangsform ist. Pflanzen, die als Umkräuter wegen ihrer Fruchtbarkeit am lästigsten sind wie zum Beispiel die Quecke, hielt er für besonders gut geeignet. Er nannte seine Arbeit auf diesem Gebiet auch nie „Pflanzenzucht“, sondern Pflanzenumwandlung, Pflanzenveredlung.

In Gesprächen mit Erbe versuchte ich, seinem Pflanzenzüchtungsgeheimnis auf die Spur zu kommen. Es war ihm nicht leicht zu entlocken und es dauerte Jahre, bis ich mit im Zusammenhang vieler Einzelheiten ein annäherndes Bild machen konnte. Auf das Geheimnis um das Brot war Erbe durch seine Einheirat in die erwähnte Bäckerei schicksalsmäßig aufmerksam geworden. Er meditierte um das Brot und befaßte sich insbesondere mit dem Johannes-Evangelium, wo ihm eines Tages in geistiger Schau die Abendmahlsszene des Donnerstag vor Ostern zuteil wurde. Es glich am ehesten dem Bilde Leonardo da Vincis. Meditationen dieser Art - die übrigens jeder durchführen kann - führte Erbe durch viele Jahre hindurch aus. Dabei wird dem Übenden Schritt für Schritt manch ein Geheimnis offenbar. Dies kann hier nur angedeutet werden. Es ergibt sich viel aus der Gliederung des Bildes, wie es Leonardo vornahm: aus der Zwölfheit der Apostel und deren (dreizehnter) zentraler Wesenheit, Christus vor den drei Fenstern, ferner aus den Gebärden der Zwölf, aus der Tafel und den Gegenständen, die auf ihr dargestellt sind usw. Erbe entdeckte alsbald, dass das Mysterium des Brot-Laibes auch ein solches des Weinstocks ist. Er sann nach, was es mit den anderen Speisen auf sich hat, dem Fisch, dem Lamm, dem Salz. Es gingen ihm Mysterien auf, die er als ein Geheimnis streng hütete. Er studierte die Bibel vom Johannes-Evangelium als Zentrum aus nach beiden Richtungen, also in Richtung auf die Briefe, besonders die des Paulus, auf die Apostelgeschichte bis zur Apokalypse des Johannes, und in der entgegengesetzten Richtung bis zurück zur Genesis des Alten Testamentes. Dabei richtete er seine Aufmerksamkeit besonders auch auf die Substanzen, die, oft wie nebenbei, an verschiedenen Stellen erwähnt werden.

So lenkte er seinen geistigen Blick auf Fisch und Honig, jenes Morgenmahl des Auferstandenen, dann auf das Abend- und Morgenmahl aus Fisch und Brot bei der Speisung der Fünftausend bzw. der Viertausend. Rückwärts gehend traf er, um nur einiges herauszugreifen, was jeder selbst finden kann, auf die im Buche Tobias genannten Substanzen, auf Abrahams Opfer bei dem „Priester des höchsten Gottes“ Melchisedek zu Salem, auf die zahlreichen Hinweise auf das Land, in dem „Milch und Honig“ fließt und schließlich auf den Isaak-Segen in Verbindung mit „Tau des Himmels“ und „Fettigkeit der Erde“. Und dann brachte er das, was man da an immer gültiger Urweisheit lernen konnte in die angemessene Beziehung zu dem, was Rudolf Steiner in seiner Christus-Verkündigung, in seinem „Fünften Evangelium“ und auch .- nicht zuletzt - in seinem Landwirtschaftlichen Kurs, für manche vielleicht allzu „esoterisch“ (verborgen) gelehrt hat. Von dem letzteren griff er auch die Methode der Herstellung und Anwendung von in feinster Verteilung auszubringenden, die Düngung unterstützenden Substanzen auf. Er meditierte auch darüber, wie wohl die noch hellsichtigen Menschen des hebräischen Altertums unter der Führung des Jahwe die Stoffe, die da geheimnisvoll erwähnt werden, geopfert haben mochten, um, wie es heißt, zu „hundertfältiger und tausendfältiger Frucht“ zu kommen. (Wir kommen heute mit unseren auf die Spitze getriebenen Raubbaumethoden allenfalls auf fünfunddreißigfältige Frucht!)

Nachträglich füge ich hier noch hinzu, dass sich Erbe z.B. auch Gedanken darüber machte, warum die Hebräer so viele Brandopfer brachten, was es mit der Verstreuung von der Asche der durch das Jahr hindurch fast ständig verbrannten Tiere auf sich hatte. Dabei ging er davon aus, dass all die Ritualien nicht nur allein dem Dienst für den Gott, sondern auch dem Dienst der Erde, also praktischen Dingen galten. Gerade diese Nachdenklichkeiten führten ihn auf tiefere Geheimnisse der Todes- und Auferstehungskräfte der Aschen, auf das, was die Alten die Phönix-Mysterien nannten.

Erbe stellte sich aus einigen der genannten Substanzen Präparate her. Bei den Überlegungen über die Art der Zubereitung wandte er, was in der Natur der Sache liegt, seine Aufmerksamkeit dem Sinn des stundenlangen Rührens zu und fand, dass man diese Prozedur außerordentlich verfeinern kann. Die bereits aufgeschlossenen Stoffe sollen ja zu Konzentraten formender und zirkulierender Gestirnskräfte sowie leuchtender, klingender und lebensspendender Ätherkräfte werden. In diesen Bereichen gibt es Stufen, solche der verschiedenen Wärmegrade, der farbigen Lichter, der Klänge und der Konsonanten und Vokale. Man kann vom gröberen zum feineren Äther vorschreiten, indem man sich der Kräfte der Brutwärme wie auch derjenigen des Eises, der Farben des Spektrums, der Schwingungen der Melodien und vor allem der Bildekraft des Wortes bedient. - Auf dem Tobelhof gab es ein kleines Gewächshaus. Dies benutzte Erbe als sein Laboratorium. Was er darin betend arbeitete und arbeitend betete - dem Rosenkreuzerworte folgend ., das verriet er niemandem. Nicht zu verheimlichen war allerdings, dass er gelegentlich sang.

Er hatte einst eine Gesangsausbildung durchgemacht und dabei, wie es seine Art war, danach gestrebt, in die tieferen Wahrheiten menschlicher Stimmbegabung vorzudringen. So erkannte er den menschlichen Leib als ein musikalisches Instrument mit Saiten, mit einer beliebig verkürzbaren Luftsäule, wie sie die Flöte hat, mit „Blasebälgen“ und mit mehreren Resonanzböden. Darin hatte er eine regelrechte Wissenschaft ausgebildet. Erbe bearbeitete nun einige seiner Präparate mit dem „Worte“ und mit dem „Ton“, indem er die Flüssigkeit, in der er ein Präparat gelöst hatte, in entsprechender Weise mit bestimmten Mantras in bestimmten Intervallen besang. Dabei überließ er aber nichts dem Zufall. Vor einer jeden Arbeit dieser Art stand der bis ins Letzte exakt durchgeführte Erkenntnisprozeß. Eines der von ihm öfter gebrauchten Sprichworte hieß: „Vor den Erfolg hat Gott den Schweiß gesetzt.“ Nichts lehnte er intensiver ab, als nur ein blindes Herumprobieren, dass er nicht nur für erfolglos, sondern für höchst gefährlich hielt. Auch setzte er aus, dass besonders die zur „Mystik“ neigenden oft unklaren Naturen oft die ausschlaggebende Liebe zur Einzelheit, die Aufmerksamkeit für das Detail vermissen lassen.

Ein weiteres gehörte zu den Grundlagen der Überlegungen, nämlich das, was im Johannes-Evangelium deutlich gesagt ist, dass ohne Christus nichts zu erreichen ist. Christus ist eine Wesenheit, die zwar für alle Menschen da ist, die aber auch die höchst entwickelte unter allen uns denk- und anschaubaren Gottesgeistern ist. Daraus ergibt sich, dass der in Christi Dienst wandelnde und arbeitende Mensch in der Lage sein muß, alles aus seiner Seele - wenigstens während seiner Arbeit - zu entfernen, was Erfolgsstreben, Wünsche, Forderungen, vorgefaßte Meinungen, Geltungsbedürfnis, Unbescheidenheit und desgleichen sind. Läßt man  all dies fahren, dann beginnt sich jenes Gefühl zu regen, dessen hohe Entwicklung die Voraussetzung ist. Man nennt es Ehrfurcht. Sie ist sowohl den Wesenheiten entgegenzubringen, die über dem Menschen stehen wie zum Beispiel den Engeln, und sie ist ganz ebenso den unter uns lebenden Wesen darzubieten, ohne die es kein Menschensein geben könnte: den Pflanzen, Tieren, sogar den Steinen, den Elementarwesen usw. und zwar im Sinne der Fußwaschung, wie sie in den Evangelien beschrieben ist. Es genügt nicht, eben einmal den so gerne berufenen „guten Willen“ zur Unterordnung aufzubringen, sondern es muß die tiefgreifende bis in die letzte Faser unseres Wesens hineinstrahlende Ergebenheit wirkliche Eigenschaft geworden sein. Dies bedeutet, den Laboratoriumstisch zum Altar erheben. Man erwirbt sich dies nicht im Handumdrehen, weil die moderne Zivilisation uns derartige Entwicklungen schon im Kindheitsstadium abschneidet. Hier muß man durch viele Jahre hindurch unter Aufwendung großer Willenskräfte geduldig arbeiten.

In dieser Richtung und Hinsicht wäre noch manches zu erzählen. Es mag für diesmal sein Bewenden haben. Vielleicht genügt es, zunächst nur eine einzige Lehre daraus zuziehen, dass es seht leicht ist, die wichtigsten Menschen wegen dem verborgen in uns sitzenden Hochmut zu übersehen und so ihre Wirksamkeit zu untergraben. Erbes Mission bestand in nichts weniger, als in der vorbereitenden Saat und Keimlegung von Gedanken und Arbeiten, die in der nächsten, der sechsten nachatlantischen Kulturepoche zu Blüten und Früchten reifen müssen, soll die Menschheit die ihr angemessene Weiterentwicklung durchlaufen. Diese in der Apokalypse des Johannes Philadelphia genannte Epoche der Brüderlichkeit steht zu der urpersischen der Zarathustra im Spiegelbilde. Unter der Mysterienleitung des Zarathustra lernte die Menschheit den Gebrauch des “Goldenen Pfluges“, in dessen kultischer Anwendung sie die meisten der heute noch in Gebrauch befindlichen Kulturpflanzen entwickelte. Sie sind in voller Degeneration begriffen, während wir längst die Geheimnisse des „Goldenen Pfluges“ vergessen und verlernt haben. Sollen sich die Menschen weiterhin in gesunder Weise ernähren können, so müssen jetzt die Grundlagen für die Pflanzenzucht der Zukunft gelegt werden. Es war dies mit ein Grund für Erbe, seine Aufmerksamkeit nicht den bestehenden Kulturformen, sondern den Pflanzen zuzuwenden, die für Kulturpflanzen der Zukunft in Betracht kommen, heute aber erst in Naturformen vorhanden sind.

Es wäre dringend nötig gewesen, dass Erbe bereits in Zeiten seiner ungebrochenen Schaffenskraft genügend Helfer und Schüler zugeströmt und ihm der nötige Boden zur Verfügung gestellt worden wäre, um das zu verwirklichen, was ihm vorschwebte: Die Bildung einer Menschengemeinschaft auf der Grundlage eines großen landwirtschaftlichen Betriebes, wo nun wirklich gar nichts anderes mehr gewollt und getan werden sollte, als allein dem Geiste dieser unserer Erde und der auf ihr lebenden Menschheit zu dienen. Nur im Schutze einer solchen Gemeinschaft, die geeignet ist, einem Geiste aus der Hierarchie der Angeloi oder der Archangeloi wie ein physischer Leib zur Verfügung zu stehen, lassen sich Taten von der Höhe neuer Kulturpflanzenentwicklungen wie auch der Schaffung neuer Ätherenergien in Sinne einer Michaelischen Technik oder auch neue Arzneimittelzubereitungen ungeahnter Heilkräfte in den menschlichen Kulturbereich einzuführen. Die drängende, ja bedrängende Frage ist, wann sich endlich genügend Seelen dazu aufraffen reif zu werden, um derartige Aufgaben übernehmen zu können.

Schlafende Menschen ließen einen Geist wie Hugo Erbe an sich vorübergehen. Schlafende Seelen werden noch manches schwere Unglück über die Menschheit bringen. Dieser Bericht möge deshalb mit den Worten Christi enden, die der Evangelist Markus im 13. Kapitel seiner  Botschaft überliefert hat:

Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen. Von dem Tage aber und der Stunde weiß niemand, auch die Engel nicht im Himmel, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater.

Sehet zu, wachet und betet; denn ihr wisset nicht, wann es Zeit ist. Gleich als ein Mensch, der über Land zog und verließ sein Haus und gab seinen Knechten Macht, einem jeglichen sein Werk, und gebot den Türhüter, er solle wachen.

So wachet nun; denn ihr wisset nicht, wann der Herr des Hauses kommt, ob er kommt am Abend oder zu Mitternacht oder um den Hahnenschrei oder des Morgens; auf dass er nicht plötzlich komme und finde euch schlafend.

Was ich aber sage, das sage ich allen: Wachet!

Einige Zitate aus Briefen Hugo Erbes

Thalhamerhof, 25.09.1963

... Die bisherigen Erfahrungen auf dem Gebiete der Gemeinschaftsbildung sind mehr als entmutigend; das sind Tatsachen. Allein sie dürfen nicht der Anlaß sein, nunmehr jede weitere Bemühung aufzugeben! Wenn es gelänge, einige wenige Menschen zu finden, welche ihre Tätigkeiten in und aus Liebe auszuführen, also richtige Liebhaber, dann wäre ein bescheidener Anfang durchaus möglich und eine weitere Entwicklung zur „Jüngerschaft“ am Leibe des HERRN gegeben. Wenn nicht alles in der Zerfall hineinkommen soll, dann müßte wenigstens ein ernsthafter Versuch gemacht werden, dass Landwirtschaft, Gartenbau, Medizin und Pharmakologie zusammen forschen und arbeiten, denn der Arzt hat die „kranken“ Seelen der einzelnen Menschen zu heilen, der Bauer aber muß den Erdenleib zu einem neuen Durchseeltsein führen! Grundpräparate der Landwirtschaft werden Grundpräparate der Pharmakologen sein können, oft mit nur geringen Abweichungen, welche menschlich individuell begründet sind. Es wäre vieles darüber zu sagen...

Thalheimerhof, 05.04.1964

...Wenn ihr der völlig berechtigten Ansicht seid, dass alle Dinge sich aus den kleinsten Anfängen herausentwickeln sollten, dann stimmen wir völlig überein, aber ihr überseht ja völlig, dass meine kleinsten Anfänge auf das Jahr 1924 zurückgehen!! Anno 37 bis 57 mußte, die Armut „im Tobel“ durchlebt werden, anno 52-53 die Zwischenstufe Freiburg, anno 57 Thalheim bei Freising und nun ... (es stand ein Projekt von mehr als 100 ha in Aussicht,  d. Ref.). Es sind ja Dutzende von teilweise noch nicht ausprobierten  Präparaten geschaffen worden, es liegen an die 25 völlig neue Getreidesorten anbaubereit!! Und dann kommt eigentlich der universelle geistreale Gesichtspunkt dazu, der im Hinblick auf die geistlosen Kolchosen und die Kibbuzzen der Juden endlich in Mitteleuropa die Menschengemeinschaft sich bilden muß und kann, welche das Dienen, die Hingabekräfte den Leibe des Auferstandenen widmen will. Ein zeitgemäßes vollbewußtes Jüngertum muß und kann sich bilden gerade aus dem landwirtschaftlichen Impuls heraus und das hat auch Rudolf Steiner erwartet.

 

Anmerkung des Verlages:

(Aus: Beiträge zur Dreigliederung, Anthroposophie und Kunst, Heft 46, Rendsburg/Tellingstedt 1998.)

Im Dezember 2013 ist bei uns in Neuauflage erschienen:   Hugo Erbe: Präparate zur Förderung des elementarischen Lebens im biologisch-dynamischen Land- und Gartenbau. Zu bestellen zum Preis von 18 EUR unter lohengrin-verlag@t-online.de

 

Informationen über das Backferment von Hugo Erbe erhalten Sie auf folgender Internet-Seite:

http://www.naturgabe.de/brotbackferment.htm