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Der nachfolgende Aufsatz erschien in der Mappe „Zum Thema Freies Geistesleben“, herausgegeben von Raymond Zoller (Junglinster/ Luxemburg) du Arfst Wager (Wyk/Föhr) im Frühjahr 1981 mit einer Reihe anderer Aufsätze zum Thema „Freies Geistesleben“. Von maßgeblicher Stelle wurde Arfst Wagner nach Erscheinen des Aufsatzes mitgeteilt, dass wenn er weiter über Eurythmie publiziere, ihm jede Fortbildungsmöglichkeit entzogen würde. An mehreren Eurythmieschulen wurde den Stuenten und Studentinnen erklärt, ein Kontakt zu der Studentinnen und Studenten sei unerwünscht. Das sei hier, nach 20 Jahren, einfach zur Historie erklärt.

In den beiden Aufsätzen „Beobachtungen.. finden sich viele der Probleme, die zur derzeitigen Situation der Eurythmie (siehe auch Rubrik Nachrichten auf dieser Homepage) geführt haben, schon beschrieben. Deshalb seien sie hier, nach 20 Jahren und mit allen stilistischen und sonstigen Unvollkommenheiten, wiederum veröffentlicht.

 

 

Arfst Wagner

Beobachtungen im Eurythmiestudium.

Teil II

 

„Das Übersinnliche des göttlichen Wesens konnte von der Erschaffung der Welt her in den Reichen der Schöpfung geistig wahrgenommen werden: seine ewige Schöpfermacht und Gottesgröße. So gibt es also keine Entschuldigung dafür, dass die Menschen der göttlichen Welt, die sie doch noch zu erkennen vermögen, nicht wirklich in preisender Ehrfurcht und Dankbarkeit gegenüberstehen. Sie sind in ihrem Gedankenwesen in die Wesenlosigkeit eingemündet, und so ist ihr Herz blind geworden und verfinstert. Sie geben sich als Weise aus, sind aber töricht geworden und habe den Lichtglanz des unvergänglichen göttlichen Wesens gegen die Welt der bloßen Abbilder eingetauscht; ihr Blick fällt nur noch auf die vergängliche Gestalt des irdischen Menschen sowie auf die der Vögel, der vierfüssigen und der kriechenden Tiere. (…)

Du nennst dich einen Juden; du verlässest dich auf das Gesetz und rühmst dich Gottes. Du kennst seinen Willen und weißt, weil du darin unterrichtet worden bist, genau in allen Einzelheiten des Gesetzes bescheid. Und nun bildest du dir ein, ein Führer der Blinden, ein Licht für die im Finsteren wandelnden, ein Lehrer der Erkenntnislosen, ein Erzieher der Unmündigen zu sein; du glaubst, im Gesetz die Verkörperung der Erkenntnis und der Wahrheit zu besitzen. (…)

Die Beschneidung hat ihren guten Sinn für dich, wenn du in allen deinen Taten das Gesetz befolgst. Übertrittst du aber das Gesetz, bist du trotz deiner Beschneidung den Unbeschnittenen gleich. Erfüllt dagegen jemand, der die Beschneidung nicht hat, den guten Sinn des Gesetzes, ist ihm dann nicht seine Unbeschnittenheit zur Beschneidung geworden? Derjenige, der von Natur unbeschnitten ist, aber das Gesetz erfüllt, wird dein Richter sein, der du trotz des Gesetzesbuchstabens und der Beschneidung das Gesetz übertrittst. Nicht der ist ein wahrer Jude, der es nur äusserlich ist, und nicht as ist die wahre Beschneidung, die nur physisch vollzogen wird. Echt ist der, der im verborgenen inneren Jude ist; und die echte Beschneidung ist die des Herzens, die im Geist und nicht nach dem Buchstaben vollzogene. Her gilt nicht die Anerkennung von Menschen, hier anerkennt Gott selbst.“

                                                             (Brief des Paulus an die Römer, 1. und 2. Kapitel)

 

In dem Aufsatz „Beobachtungen im Eurythmiestudium“ (Zeitschrift „Erde und Kosmos“, Hg. Hellmut Finsterlin, Heft 2/1980) beschrieb der Verfasser die Erlebnisse einiger Eurythmiestudenten verschiedener Eurythmieschulen. Der Aufsatz sollte ein Gespräch anregen unter Menschen, denen die Eurythmie ein Herzensanliegen ist und die Interesse an einem solchen Gespräch haben. Diese Aufgabe erfüllte der Aufsatz zu einem großen Teil. Es sollen in diesem Aufsatz einige weitere Anregungen gegeben werden, über die Eurythmie und das, was von ihr heute schon vorhanden sein kann, nachzudenken. Es soll versucht werden, immer näher darauf hinzuschauen, aus welchen Quellen die Eurythmie heute fließen kann. Dazu sollen in einem nächsten Aufsatz einige eurythmische Elemente näher betrachtet werden. Anregungen hierzu nimmt der Verfasser dankbar entgegen. Dass solches Nachdenken über die Eurythmie von schaden sein kann, können nur diejenigen denken, die die große Bedeutung der Eurythmie innerhalb unserer modernen Kulturwelt verkennen. Was erwünscht ist, das ist das Schauen auf die Phänomene, um eine echte Beurteilungsgrundlage zu finden. Wie wichtig eine solche Grundlage besonders für den in der Eurythmie tätigen Menschen ist, darauf kommt dieser Aufsatz wiederholt zurück. Über alle Äusserungen wird sich der Verfasser dankbar freuen.

Es soll jedoch darum gebeten werden, genau zu lesen. Es traten eine ganze Reihe von Missverständnissen auf, mit denen zwar vorher gerechnet worden war, die aber dennoch unnötig erscheinen. Dem Verfasser wurde nach dem ersten Aufsatz vorgeworfen, er wolle zum Studium ohne Lehrer aufrufen. Als dann nachgelesen wurde, war eine diesbezügliche Textstelle beim besten Willen nicht zu finden. So kam mancher Vorwurf, nicht an, weil in dem Aufsatz etwas ganz anderes drinnenstand, als verstanden wurde. Einige Stellen greifen wir deshalb nochmals auf, ohne direkt zu zitieren. Der Aufsatz kann ja bei „Erde und Kosmos“ wie auch beim Verfasser immer noch bestellt werden.

Auch in diesem Aufsatz sollen keine Behauptungen aufgestellt werden. Auch hier ist jedem freigestellt, sich betroffen zu fühlen.

„Bei uns ist es nicht so, wie Sie es beschrieben haben; woanders mag es ja so sein.“ So wurde oft dem Verfasser begegnet. In dem ersten Aufsatz standen eine Reihe von Fragen; auch in diesem Aufsatz sollen Fragen aufgeworfen, zur eigenen Fragestellung angeregt werden. Viele Fragen der Menschen gehen oft unter in den „Sachzwängen“ der Institutionen. Diese Fragen aufzugreifen und weiterzuentwickeln kann für den Ernstmeinenden eine aus diesem Aufsatz resultierende Aufgabe sein.

 

Ein Ziel des ersten Aufsatzes war die Frage nach einem gesunden Lehrer-Student-Verhältns. Darauf soll hier noch näher eingegangen werden. Diesem Bestreben diente auch der Aufsatz des Verfassers „Der Einzelne und die Gemeinschaft im Studium“ in der Zeitschrift „Forum für Art und Kunst – eine Korrespondenz der geistigen Interessen.“ (Hg. Jürg Schmied. Heft 1/ November 1980).

Ein Student einer Eurythmieschule schrieb mir folgende Zeilen: „Als Anregung, über das Studium nachzudenken, hat mir der Artikel sehr geholfen, vor allem, dass es wichtig ist, seine Fragen nicht zu verdrängen, wenn man ein paar Mal frustriert wurde.“

In dem Vortrag vom 21. Juni 1922 in Stuttgart („Erziehungsfragen im Reifealter; GA 302a) sprach der Stifter der Eurythmie, Rudolf Steiner, folgende Worte:

„… wenn nun auch der Schüler selber dasjenige, was er als Frage innerlich erlebt, nicht formulieren kann – der Lehrer muß imstande sein, diese Frage z formulieren, so dass die Formulierung zustande kommt, und er muß imstande sein, das Gefühl zu befriedigen, das beim Anlass der Frage im Schüler auftaucht. Denn wenn er das nicht tut, dann geht vor allen Dingen dasjenige, was sch da abgespielt hat mit dem Menschen, mit hinein in die Schlafenswelt, in den Schlafzustand, und im Schlafzustand wird durch nicht formulierte Fragen eine ganze Menge von konträren Giftstoffen erzeugt, von solchen Giftstoffen, die nur in der Nacht entwickelt werden, wo eigentlich die Giftstoffe eher verarbeitet als neue erzeugt werden sollten. Es werden Giftstoffe im Menschen erzeugt, mit denen der junge Mensch sein Gehirn beladen hat, wenn er die Klasse betritt, und das alles stopft sich nach und nach furchtbar stark an. Das muß vermieden werden und kann vermieden werden. Das kann nur vermieden werden, wenn eben nicht in den Kindern das Gefühl hervorgerufen wird: da hat uns der Lehrer wieder nicht befriedigend geantwortet; das hat uns der Lehrer nicht befriedigend beantwortet; bei ihm können wir uns nicht die richtige Antwort holen…

… Und für dieses Nichtgenügen ist nicht etwa bloß ausschlaggebend sagen wir die persönliche Fähigkeit oder Unfähigkeit des Lehrers, sondern namentlich die pädagogische Methode.“

Dieses Zitat bezieht sich auf die Altersgruppe während und nach der Geschlechtsreife bis zum 18./21. Lebensjahr. Nach dem 21. Lebensjahr dürfte das Verhältnis zur Autorität noch eine erheblich andere Rolle spielen.

Rudolf Steiner: „Dieses Verhalten wird nach und nach eben dazu führen, dass das Autoritätsgefühl, das die Kinder bis zu ihrer Geschlechtsreife durchaus haben sollen, dann aber nicht mehr gut haben können, nun abgelöst wird von jenem Interesse, das sie den Anregungen des Lehrers entgegenbringen aus ihrer Urteilskraft heraus.“

Die Fragen der Studenten dürften eine große Rolle spielen. In dem Buch „Die Diener des Logos“ schreibt Georg Kühlewind in dem kurzen ersten Aufsatz „Frage und Antwort“ folgendes:

„Eine Bewertung meiner Frage von aussen kann nur etwas ähnliches bedeuten, indem man mir de Worte bietet – eine entsprechende Formulierung, eine erhellende Fragestellung-, die bereits Antwort sind. Immer muß man selbst entscheiden, ob die gegebene Antwort stimmt. Verlasse ich mich auf die Autorität des Antwortenden, so liegt es noch paradoxer; weil ich nämlich entscheiden muß, ob der Antwortende kompetent ist. Dazu gehört aber meistens eine viel größere Erkenntnisleistung als die, sich die gestellte Frage zu beantworten. Zudem könnte es geschehen, dass die Autorität sich just in diesem einzigen Falle irrte. …

Hieraus folgt, dass eine „Antwort“ von außen zwar helfen kann, das Problem zu durchschauen, aber damit sie wirklich zur Antwort wird, muß ich sie beurteilen können. Also muß jemand, der eine wirkliche Frage stellt, auch die Fähigkeit besitzen, eine Antwort als richtig oder unzutreffend zu erkennen. Anders kann er rechtmäßig keine Antwort bekommen. Ebenso liegt es, wenn verschiedene Antworten erfolgen. Dann muß der Fragende entscheiden, ob eine davon richtig ist und welche. Wenn er sich dann auch in seiner Entscheidung irrt – die Verantwortung bleibt bei ihm, er wird sie nicht los.

Ist es denkbar, dass der Fragende nicht entscheiden kann, ob eine Antwort richtig oder falsch ist? Das ist zwar möglich, doch nur dann, wenn er nicht alles unternommen hat, um zu einem eindeutigen Urteil z gelangen, wobei ihn natürlich innere oder äußere Gründe daran hindern können. Aber im Prinzip muß es einem, der wirklich eine Frage hat, möglich sein, eine gegebene Antwort zu beurteilen oder sich die Frage selber zu beantworten. Denn mit der Fragestellung begann eigentlich schon die Antwort. Eine wirkliche Frage zu stellen, bedeutet eine Intuition, und im Fortführen dieser Intuition liegt die Antwort. Der Fragende weiß ja schon, was er fragt.

Damit wird die Aussage eines heutigen Weisen bekräftigt, einer könne die tiefsten Geheimnisse der Welt mitteilen – es würde den Menschen nichts nützen.“ (S. 12/13)

 

Was geschieht, wenn sich der Student der Eurythmie gezwungen sieht, den Anweisungen des jeweiligen Lehrers unbedingt Folge (Gehorsam) leisten zu müssen, und die eigenen Fragen und Interessen zurückstellen zu müssen und nicht die Zusammenarbeit aus der eigenen Urteilskraft heraus suchen zu können, da man ja sonst vielleicht sein Diplom nicht bekommt? Die Frage, was geschieht mit einem Studenten, der die Gebärden und Bewegungen der Eurythmie, die von Rudolf Steiner angegeben wurden, ausüben muß, ohne dass er, formuliert oder nicht formuliert, nach ihnen gefragt hat, beantwortete der Verfasser im letzten Aufsatz. Hier sei noch hinzugefügt, was Rudolf Steiner am 9. Januar 1905 in einem Brief an Marie von Sivers über das Lehren von Wahrheiten der Theosophie schrieb:

„In den Köpfen der sogenannten Theosophen wird sich noch einmal aller Materialismus unseres Zeitalters am krassesten spiegeln. Weil die theosophische Gesinnung selbst eine so hohe ist, werden diejenigen, die nicht ganz von ihr ergriffen werden, gerade die schlimmsten Materialisten werden. An den Theosophen werden wir wohl noch viel Böseres zu erleben haben, als an denen, die nicht von der theosophischen Lehre berührt worden sind. Die theosophische Lehre als Dogmatik, nicht als Leben aufgenommen, kann gerade in materialistische Abgründe führen. Wir müssen das nur verstehen. … Und kein Tag vergeht, an dem die Meister nicht die Mahnung deutlich ertönen lassen: `Seid vorsichtig, bedenkt die Unreife eures Zeitalters. Ihr habt Kinder vor euch, und es ist euer Schicksal, dass ihr Kindern die hohen Geheimlehren mitteilen müsst. Seid gewärtig, dass ihr durch eure Worte Bösewichter erzieht.´ Ich kann Dir nur sagen, wenn der Meister mich nicht zu überzeugen gewusst hätte, dass trotz alledem die Theosophie unserem Zeitalter notwendig ist: ich hätte auch nach 1901 nur philosophische Bücher geschrieben und literarisch und philosophisch gesprochen.“

Kann man diese Sätze auch auf die Eurythmie beziehen? Wir meinen: ja; und af Leserbriefe sind wir gespannt.

Das In-Frage-Stellen einer Sache kann aus verschiedenen Motiven erfolgen: aus Kritiksucht, um des Zerstörens willen; auch aus Überschuß an Vertrauen in den geistigen Ursprung der Eurythmie, um tiefer zu verstehen. Das In-Frage-Stellen, um zu erkennen, ist die Vorstufe eines Prozesses. Das gilt für jede Art von Erkenntnis: für Welt- wie für Selbsterkenntnis.

Wer oder was ist denn eigentlich im Eurythmestudium die Autorität? – Die Eurythmie selbst.

In der Frage nach der Unfehlbarkeit des Papstes hat es die Katholische Kirche „geschickt“ gehandhabt: als Mensch ist der Papst fehlbar – spricht er jedoch „ex cathedra“, dann ist er unfehlbar. Ob er aber im einzelnen Fall als Mensch oder „ex cathedra“ spricht, das entscheidet er selbst.

So ein Katholizismus darf selbstverständlich in die Anthroposophie nicht einziehen. So darf der Eurythmielehrer nicht dadurch, dass er sich auf Rudolf Steiner beruft, einen Unfehlbarkeitsanspruch in Bezug auf die Eurythmie aufstellen. Dadurch schadet man der Anthroposophie, und man schadet Rudolf Steiner, aber auch sich selbst.

Die Eurythmie besteht ihrem innersten Wesen nach nicht aus dogmatisierten Angaben über Mensch und Kosmos, sondern aus ihrer Substanz, die lebendiger Geist, das lebendige Wort selbst ist. Außerdem ist sie Bestandteil des Schicksals Rudolf Steiners. Das Auffinden des lebendigen Geistes kann nur durch die eigene Urteilskraft gelingen. Das kann kein Lehrer einem Studenten abnehmen. Wer um dieses Geheimnis weiß, kann helfen, dass andere es auch selber finden können.

 

„Jedermann berührt ihn oft, ohne ihn zu kennen“. So sagten die Alchemisten über den Stein der Weisen. Ebenso ist es mit dem lebendigen Geist der Eurythmie. Aus dem lebendigen Geist heraus will alle anthroposophische Arbeit getan sein. Das kann natürlich nicht dogmatisch gefordert werden, aber jeder tue sein Möglichstes und behindere nicht andere, die es unter großen Opfern, vielleicht auch anderes, als Ersterer denkt, tun. Wer die Frage nach dem Geist wirklich hat, der kennt den Geist.

 

„Da wird einem gesagt: Ja, gewiß, es gibt eine geistige Welt, aber die geistige Welt ist eben das Geheimnis. Der menschliche Verstand ist nicht geeignet, irgendwie etwas von der geistigen Welt einzusehen. – Und es wird geradezu als eine Eigenschaft des richtigen Hinschauens auf die geistige Welt angesehen, dass diese geistige Welt als etwas Geheimnisvolles auftreten soll. Was man nicht wissen kann, wovon man nur eine Ahnung haben kann, was man möglichst nur fühlen soll und dergleichen, das wird als das wirklich Geistige angesehen. Und es ist den Leuten unangenehm, zuzugeben, dass das Geistige wirklich auch eingesehen werden soll. Die meisten Menschen haben dazu gar nicht den Mut. Die meisten Menschen finden es außerordentlich bequem zu sagen: Das Geistige ist das, was man eben ahnen muß, was man nicht einsehen kann, was das Geheimnis ist. Nun besteht alle Geisteswissenschaft darinnen, dass das Geheimnis eben enthüllt werde, dass das Geheimnis wirklich vor die Welt hintrete. …

Damit sage ich nicht, dass der Ernst dadurch zustande kommt, dass man ein langes Gesicht macht und möglichst sentimental ist und wichtig tut, sondern es muß der innere Ernst, der sogar mit ganz gutem Humor vereinbar ist, vorhanden sein. Es darf zum Beispiel nicht der Usus herrschen: Ich weiß etwas, das kann ich dir aber nicht sagen, weil du noch nicht reif bist dazu. – Und man erregt die sonderbarsten Gefühle dadurch. … (Rudolf Steiner in: Die Konstitution… GA 37/260a. S. 116/117 und 125).

 

„Der Student weiß doch gar nicht, was Eurythmie ist. Er kann doch die Eurythmie gar nicht beurteilen!“ Dieser Einwand kam von einer Eurythmistin, die junge Menschen in die Eurythmie einführt. Nehmen wir doch einmal ganz genau, was Rudolf Steiner in dem Buch `Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten´ ausgeführt hat. Ohne Kenntnis der Dinge, die in desem Buche ausgeführt sind, kann niemand de Eurythme erfassen. Auf der anderen Seite: wem war dieses Buch nicht „bekannt“, als er es zum ersten Male las! Rudolf Steiner wollte, dass es ein „Volksbuch“ werde.

Es wird immer wieder betont, dass die Eurythmie ein Schulungsweg, wie auch eine Mysterienkunst sei:

„Es gehört zu den Grundsätzen wahrer Geheimwissenschaft, dass derjenige, welcher sich ihr widmet, dies mit vollem Bewusstsein tue. Er soll nichts vornehmen, nichts üben, wovon er nicht vorher weiß, was es für eine Wirkung hat. … Erst wer solche Dinge kennt, wie sie hier mitgeteilt werden, kann in vollem Bewusstsein die Übungen vornehmen, welche zur Erkenntnis übersinnlicher Welten führen.“

Demnach muß ein Mensch, der sich zum Studium der Eurythmie entschlossen hat, sich ein Bild von der Eurythmie machen können. Er muß die Eurythmie beurteilen können. Ansonsten verstößt er gegen den genannten Grundsatz, und das, was er ausführt an Übungen, ohne deren Wirkung zu kennen, schadet ihm. Zum Eurythmiestudium entschliessen kann sich nur derjenige, der die Eurythmie kennt, nun auch noch lernen will, wie sie auszuführen ist. Ein auf das Eurythmiestudium zugeschnittenes Vorstudium der anthroposophischen Grundlagen, wie ein Erarbeiten der unter anderem in diesem Aufsatz gestellten Fragen könnte manchen Missstand in dieser Richtung beheben. De Frage ist ja auch: macht sich en Ausbilder nicht schuldig, wenn er einen Menschen okkult wirkende Übungen ausführen lässt, ohne dass dieser es weiß, was er eigentlich tut? Wer die Eurythmie nicht beurteilen kann, darf sie nicht studieren. Jeder, der die Eurythmie wirklich studiert, kann sie auch beurteilen.

Niemandem soll blind vertraut werden. Vertrauen kann nur auf Anerkennung der jeweiligen Lehrerpersönlichkeit beruhen, und das Erkennen ist die notwendige Vorstufe zum Anerkennen. Blind der Eurythmie vertrauende Menschen wären der schlechteste Dienst an der Eurythmie selber. Man kann die Eurythmie prüfen. Sie wünscht dies sogar, weil sie als Wahrheit erlebbar ist. Eine Wahrheit will erkannt sein. Das kann man dem Eurythmielehrer zurufen, der den obenstehenden Ausspruch tat. Auch ein Vertrauen in Menschen kann niemals gefordert oder blind gewährt werden. Dennoch ist das Vertrauen zu erfahrenen Lehrern möglich, ja notwendig, wenn eine fruchtbare Arbeit entstehen soll.

 

Es gibt den Lehrer, der sich an das Gesetz hält, das auch für die Lehrer n der Eurythmie gilt: „Richte jede deiner Taten, jedes deiner Worte so ein, dass durch dich in keines Menschen freien Willensentschluß eingegriffen wird.“ Dieser Lehrer ist Rudolf Steiner. Es gibt auch noch andere Lehrer, aber die Eurythmievorträge und Aufsätze Rudolf Steiners sind eine wesentliche Hilfe auf dem Wege zur lebendige Eurythmie.

Kommt es zum Beispiel in einer Malschule vor, dass der Lehrer ausdrücklicht wünscht, dass die Werke und Schriften bedeutender bildender Künstler nicht studiert werden? In Eurythmieschulen kommt es vor, sogar in Bezug auf die Schriften zur Eurythmie Rudolf Steiners, dass gesagt wird, man wünsche nicht, dass in den ersten 2 Ausbildungsjahren die beiden Hauptzyklen gelesen werden. Was ist der Grund dafür?

Dies ist allerdings nicht auf allen Schulen üblich, was ausdrücklich hinzugefügt sei. Es gibt auch Lehrer, die sich an das obenstehende Gesetz halten. Diesen wird jeder Schüler gern folgen.

 

Es sei hier ein Beispiel zitiert, aus dem deutlich wird, wann in eines Menschen freien Willen eingegriffen wird. Peter Tradowsky schreibt in seinem sehr lesenswerten Buch "Kaspar Hauser" die folgenden Sätze (S. 157/158): "Die ungeheure Wirkung der pseudoreligiösen Bewegung (gemeint ist der Nationalsozialismus. d. Verf.), die 1933 zum entscheidenden Erfolg kommt, wird dadurch erreicht, dass es gelingt, das Willenselement des Menschen anzugreifen. Mit seinem unbewussten Willenswesen wurzelt der Mensch in der geistigen Welt. Dadurch sucht und findet er sein Schicksal. Er erlebt mit, was sich in der geistigen Welt abspielt, ohne dass er davon in seinem Tagesbewusstsein irgend etwas weiß. Die Ereigniss, von denen Rudolf Steiner spricht, dass sie sich in den 30er und 40er Jahren vollziehen müssen, wurden von den Menschen in diesem Willensbereich miterlebt. Deshalb hat man gegnerischerseits versucht, dieses Element zu ergreifen, natürlich ohne den Menschen die dazu notwendige spirituelle Erkenntnis zu vermitteln. Durch die gelenkte Betätigung des Willens, zum Beispiel in den Sportveranstaltungen, den Massenversammlungen, den berühmten Aufmärschen ujnd den pseudosakralen nächtlichen feiern unter freiem Himmel wurde in den Menschen jene das Bewusstsein umnebelnde Faszination erweckt, die zu Unrecht den Namen Begeisterung erhalten hat. Getrübt durch den in den Vorstellungen der Menschen spukenden Materialismus, unfähig, die geistigen Ereignisse bewusst denkend zu erkennen, wird das an das Physische gebundene Willenssystem zum Führenden im Menschen gemacht. Dadurch wird den Menschen aus der Dumpfheit eine Stärke verliehen, sie geraten auf einen Weg, auf dem sie im wahrsten Sinne des Wortes nicht wissen, was sie tun."

Ein anderes Beispiel findet sich in den kleinen Buch von Johannes Tautz "Der Eingriff des Widersachers" (Verlag Die Kommenden). Im Jahre 1913 wurde ein Übungskanon der Bektaschi-Derwische aus der Türkei in Europa bekannt. Tautz schreibt: "Damals begann diese orientalische Methode nach Europa einzusickern. Sie vermittelt ein forciertes Willenstraining, eine Art Anti-Eurythmie mit I-A-O-Übungen und einer dreifachen Schulung in "Zeichen, Gefühl und Laut", das Ganze im Zusammenhang mit astrologischen Aspekten".

Jeder Eurythmist muss dergleichen Fragen beurteilen können. Es liegt also nicht die Qualität einer Sache in ihren Äußerlichkeiten, in I-A-O-Übungen usw., sondern es ist entscheidend, wie, das heißt mit welcher Absicht man an einen Schulungsweg herantritt. Okkulte Übungen wirken meistens so, wie die Motive, besonders die unbewussten Motive des Übenden beschaffen sind. Das ist auch ein großes Schulungsgeheimnis, mit dem Jeder, der einen Schulungsweg geht, kämpfen muss. Eben deshalb wird ja eine Selbsterkenntnis gefordert, im Sinne von "ein Schritt in der Erkenntnis, drei Schritte in der moralischen Entwicklung".

Auch zu diesem Thema hofft der Verfasser auf Zuschriften. Vielleicht können noch manche Verbindungen geknüpft werden.

Tautz gibt dann eine Erklärung: "Man stelle dem die vom Bewusstseinspol ausgehende moderne Schulungsmethode gegenüber, die Rudolf Steiner in seinen Schriften dargestellt hat. Sie schlägt den umgekehrten Weg ein, "von oben nach unten", vollzieht sich unter der Kontrolle des Ich und verlagert allmählich das Bewusstsein vom Zentrum an die Peripherie. Der Unterschied zur orientalischen methode ist offenkundig."

So Johannes Tautz. Wenn es aber Eurythmielehrer gibt, die die "Philosophie der Freiheit" Rudolf Steiners zu einem rein intellektuellen Buch erklären und ihren Schülern zumuten, sie sollten lieber weniger denken, und "einfach mal tun", wenn dies zur idealen Lebenshaltung erklärt wird, wenn es gepriesen und empfohlen wird? Wird dadurch nicht die Eurythmie umfunktioniert durch unvermerkte Einführung der orientalischen Anti-Bewusstseinsseelen-Methode, derjenigen "von Unten nach Oben"? Anthroposophie in der Theorie, aber in der Praxis Selbständigkeitszerstörung? Guru-Kultur? Das wäre ein genialer Schlag der Widersacher!

Welche Bedeutung hat das ungeprüfte Übernehmen von Übungen, die der künstlerischen Ausübung der Eurythmie zugute kommen sollten, für das Bewusstsein der Menschen? Eurythmie ist ja eine Kunst und soll es insbesondere auch noch werden. Dazu ein Zitat von Herbert Witzenmann aus seinem Aufsatz "Über den Intellektualismus":

"Wer dem Intellektualismus auf den Gebieten der Kunst huldigt, hatv es besonders schwer, der schöpferischen Neubegründung aller künstlerischen Gebiete und Tätigkeiten, die wir Rudolf Steiner verdanken, gerecht zu werden und daraus Anregungen für das eigene Streben zu schöpfen. Wenn die einschlägigen Angaben Rudolf Steiners nur als Ausführungs- und Ausübungstechniken verstanden und verwendet werden und zur Bildung von Gewohnheiten führen, bevor sich die Bewusstseinsbereiche in strenger Selbstbeobachtung und Selbstkontrolle voll ausgebildet haben, deren Erweckung und Eröffnung das eigentlich moderne jener Angaben sind, dann hat sich ihrer die technische (von der Vorstellung ausgehende) Haltung bemächtigt. Diese Haltungen führen tiefer in den Intellektualismus hinein als das verfolgen von vorstellbaren und vorgestellten Motiven in einem naiv-künstlerischen Streben. Fenn die Nutzung von Angaben, die den Verstehenden und Übenden zu einem höheren Grade von Willensbewusstsein erheben wollen, für die technischen und gemüthaften Interessen einer dumpferen Willenshaltung, stumpft die lebendige Denk- und Gestaltungskraft mehr ab als der naive Aneignungsinstinkt des vorstellenden bewusstseins, das noch nicht mit Angaben und Maßnahmen in Berührung kam, die über seinen Bereich hinausweisen".

Was Witzenmann meint, ist offenbar: das blinde "Tun, nur Tun" nach Rudolf-Steiner-Angaben, ohne Denken, es hofft, so den Intellektualismus zu überwinden, aber es plumpst dabei nur noch tiefer in ihn hinein. Dieses Problem ist eines der wesentlichsten innerhalb der Eurythmieausbildung. Es ist der Hauptgrund für die sich ständig steigernde und absolut wahrzunehmende Phantasielosigkeit unter den Eurythmiestudenten. Könnte näher darauf eingegangen werden, was die Studenten mitbringen, z. B. an vorgeburtlichen Impulsen, die sich in ihren Fragen spiegeln, könnte das Problem schon gelöst werden.Stattdessen wurde dem verfasser während seines Eurythmiestudiums empfohlen, er solle doch nicht immer seine vorgeburtlichen Impulse hereintragen, er würde ja sonst auf die Dauer mit der Welt nicht mehr fertig werden.

Angst vor den Fragen junger Menschen haben heißt, Angst vor der geistigen Welt haben.

Einen sehr schönen Satz sagte einmal eine Eurythmieschulleiterin: "Die Eurythmie wird mit jedem Menschen neu geboren". Die Schüler der Waldorfschulen und der Eurythmieschulen spüren genau, ob der Lehrer ihnen mit dieser Gesinnung entgegentritt, oder ob er sich bloß für seine eigenen Impulse und Ideen interessiert und die Schüler bloß als ausführende Organe nützlich sein dürfen.Erst wenn das geistige Klima nicht durch Lieblingsvorstellungen Einzelner blockiert ist, kann die Eurythmie immer neu geboren werden. De5r Lehrer kann auf diese Weise selber wieder "Kind werden", ohne kindisch zu werden.

Eine symptomatische Situation ist geschildert in dem Buch von René Maikowski "Schicksalswege auf der Suche nach dem lebendigen Geist". Über den Unterrichteines Lehrers der ersten Waldorfschule wird folgendes berichtet:

"Dass die Fülle des Wissens, das er zu übermitteln vermochte, gelegentlich auch Probleme mit sich brachte, erlebte ich eines Tages in seinem Unterricht in der 12. Klasse. S. hatte am Ende der Stunde in einem großen, alles zusammenfassenden Vortrag ein Bild der behandelten Geschichtsepoche, ihrer Wirkungen und Probleme entwickelt. Es war eine begeisternde Darstellung. Als er die Klasse verließ, herrschte eine eindrucksvolle Stille, alle waren ergriffen. Da stand plötzlich ein Schüler auf, lief nach vorn, schlug mit beiden Fäusten auf das Pult und rief: "Ich halte das nicht mehr aus!" Ich fragte ihn, was er denn meine, und er sagte: "Er hat uns alles vorausgedacht, man kann sich bloß noch ins Grab legen!" Für mich war das eine wesentliche Erfahrung. Es zeigte mir, wie wichtig es ist, nicht alles auszusprechen, was zu einer Sache zu sagen ist, sondern dem Zuhörer die Möglichkeit zu eigenem Denken und Urteilen zu lassen, im Unterricht Hilfen und Anregungen zumk Eigendenken zu geben, wie dies Rudolf Steiner in einzigartiger Weise verstand."

Die erwünschte "Objektivität", von der man oft glaubt, dass sie fehle, wenn jeder tun würde, was er wolle, wird keineswegs durch das Weglassen der "Subjektivität" erreicht, sondern durch den langen und beschwerlichen Schulungsweg der Veredlung, der Vervollkommnung der Subjektivität in eine Objektivitüät hinein. Die "Objektivität" ist nur Plattheit und Illusion, wird das Subjekt, die "Seele", umgangen. Wenn gesagt wird, man soll doch "den Alltagsmenschen an der Garderobe abgeben", so kann damit doch unmöglich die Seele gemeint sein, denn die Eurythmie soll doch die "Offenbarung der sprechenden Seele" sein! Bringt man die Fragekräfte des jungen Menschen mit in die Arbeit, begründet man die Arbeit auf die Fragekräfte aller am Unterricht Beteiligten, das heißt, auf den Verwandlungswillen einerseits, auf die Intuitionsfähigkeiten andererseits, dann beteiligt man überhaupt erst den Geist am Unterricht.

Eine kleine scherzhafte Zwischenbemerkung sei gestattet: unter Studenten haben sich zwei so genannte "Kalauer" eingenistet, die niemandem vorenthalten werden sollen. Die beiden Zyklentitel "Eurytzhmie als sichtbare Sprache" und "Eurythmie als sichtbarer Gesang" werden leicht den Umständen entsprechend abgeändert in "Eurythmie als sichtbare Strafe" und "Eurythmie als sichtbarer Zwang". Ein Beweis für die Imaginationsfähigkeit der Studenten? Gewiß!

Eine große resignation ist vielen Studenten, nicht nur Studenten der der Eurythmie, in die Knochen gefahren; dies ist erschütternd zu bemerken. Resignation ist, das sei hier betont, in keiner Weise verwandt mit der von Rudolf Steiner gegebenen "Positivitätsübung". Resignation ist reine Schwäche und führt zu nichts Gutem. Positivität ist reine Stärke! Auch mit Christentum hat Resignation nichts zu tun. Das Geistige lebt von der Auseinandersetzung. In dieser Auseinandersetzung dem anderen gegenüber wohlgesonnen zu bleiben, selbst wenn er die konträrsten Ansichten vertritt, ihn nicht auszuschließen, wie auch Judas nicht von Christus aus der Weltentwicklung ausgeschlossen wurde, das ist Positivität. Vielmehr versucht der Judas heute, den Christus auszuschließen, Zum Beispiel dadurch, dass versucht wird, die Fragen, die Menschen aus der geistigen Welt mitbringen, zu unterdrücken; notfalls mit Gewalt, wie wir es alle bei den heutigen so ganennten Jugendkrawallen erleben kpönnen.

"Wenn ich heute von liberalen Ideen reden höre, so verwundere ich mich immer, wie die Menschen sich gern mit leeren Worthülsen hinhalten. Eine Idee darf nicht liberal sein; kräftig sei sie, tüchtig, in sich abgeschlossen, damit die den göttlichen Auftrag, produktiv zu sein, erfülle. Noch weniger darf der Begriff liberal sein, denn der hat einen ganz aneren Auftrag." (Goethe: Sprüche in Prosa. Nr. 756).

Dazu ein Kommentar von Rudolf Steiner: "Eine Idee braucht, um in Wirklichkeit umgesetzt zu werden, hinter sich den Enthusiasmus; eine Kraft, die sich dieser Idee ganz hingibt und nichts als sie im Auge hat. Jede Bedenklichkeit, ob entgegengesetzte Tendenzen verletzt werden, schwächt die Stoßkraft der Idee ab. Der Begriff hat vor hat vor allem klar zu sein und scharfe Konturen zu haben; Rücksichten, denen er sich aussetzen soll, verunreinigen ihn und verwischen seine Konturen. Mit Gesinnungen ist es anders. Diese verwandeln sich als solche nicht in Taten. Sie bestehen in den Empfindungen, die ein Mensch gegen den anderen hat, und eine liberale Gesinnung besteht darin, dass man die persönliche, gemütliche Eigenart eines anderen liebevoll gelten lässt und ihrer Entwicklung keinen Widerstand entgegensetzt. Meine Begriffe und Ideen stellem ich in scharfen Kampfe den Begriffen und Ideen des anderen entgegen; seine Gemütseigenschaften lasse ich unangetastet. Seine Ideen können neben den meinigen nicht wirken; seine persönliche Eigenart stört die meinige nicht".

Zur Frage "Kollegialität zwischen Studenten und Dozenten einer Freien Hochschule" schrieb mir der Leiter einer Sprachgestaltungsschule, J. W. Ernst: "Kollegialität zwischen Lehrenden und Lernenden (Erfahreneren) ist freilich eine gegenseitige Situation. Es gelingt so gut, als sie gegenseitig gelingt. Kollegialität muss man nicht nur fordern, sondern auch geben können; und zwar gegenseitig. Das ist eine Kunst. Gibt der Erfahrenere sie und bekommt sie von den weniger Erfahrenenren nicht gegeben, so setzt er sich der Gefahr aus, unter die Räder zu geraten. Denn es gibt Studierende, die die Bereitschaft des Lehrenden, sie als Menschen zu behandeln, nur als willkommene Gelegenheit, um mit dem Lehrer Schindluder zu spielen, auffassen. Dies ist der Grund für die panische Angst der Autoritätsinhaber vor Autoritätsverlust. - Was für sie gleichbedeutend mit Existezverlust sein kann. Man muss in solchen Fällen `abfangen´ können - wie gesagt,, es ist eine Kunst, nicht mit Hilfe des Faulbettes `Autoritätsanspruch´ zu arbeiten."

Eine andere Persönlichkeit aus Unterlengenhardt außerte sich über den vorab veröffentlichten Teil I dieses Aufsatzes wie folgt:

"Im Übrigen sei von uns dazu gesagt, dass jeder Lehrer zunächst einmal mehr kann als der Schüler, so dass, so gesehen, von einem jeden Lehrer gelernt werden kann."

Was bleibt da zu antworten? Theoretischb braucht man diese Außerung gewiss nicht zu bezweifeln - praktisch sieht es jedoch anders aus, -nehmen wir ein gebiet, welches die geistige Schulung betrifft, die Esoterik und die Meditation - ,dass durchaus ein großer Unterschied besteht z. B. zwischen Bhagvan Shree Rajneesh, Maharishi Mahesh Yogu und - Rudolf Steiner, obwohl alle drei gewiss Meditationslehrer sind und zunächst einmal "mehr können als die Schüler". Dennoch muss auch der jüngste und unerfahrendste der Geistesschüler diese Lehrer unterscheiden, also beurteilen können. Nach dem sympathischen gesicht zu gehen, ist etwas dünn! Woher soll der Schüler wissen, welcher der drei Lehrer sein wahrer Lehrer ist? Weil dieses Beurteilungsvermögen bei vielen heutigen Menschen so schlecht ausgebildet ist, sie auch oft nicht den Mut aufbringen können, zu ihren eigenen Wahrnehmungen zu stehen, ihnen zu vertrauen, fallen ja so viele falschen Lehrern zu. Bequem ist es, zu sagen, "es ist eben karmisch für uns bnicht vorbestimmt gewesen."

Weiter schrieb die betreffene Persönlichkeit aus Unterlengenhardt: "Be9i dieser Gesinnung lösen sich viele äußere, aber auch innere Widerstände".

Kommentar: Fragen werden also schon als zu überwindende Übel empfunden. Es kommt aber vielleicht gar nichtn darauf an, das sich "innere Widerstüände lösen". Bevor sie ihre Aufgabe erfüllt haben, die Fragen, nämlich durch Nicht-Wissen, Nicht-Können, Leiden zu erzeugen und durch diese Leiden Erkenntnisse geschenkt zu haben, DÜRFEN sie nicht "aufgelöst" werden,. In der Haltung, die einem a7us solchen Äußerungen entgegenkommt, kann man das erkennen, was ich im 1. Teil dieses Aufsatzes "TM-Philosophie" genannt habe. Das Buch von Therese Schulte "Transzendentale Meditation" sei den Menschen mit dieser Geisteshaltung dringend empfohlen. Nicht alles, was sich "anthroposophisch" nennt, muss es auch sein!

Die Schreiberin aus Unterlengenhardt ist eine "altgediente" Anthroposophin, die sich selbst als jemanden charakterisiert, der in seinem "langjährigen Leben und Lernen in Dornach und unter den Wahrnehmungen, die wir darüber hinaus hatten.." die Probleme, die in dem ersten Teil dieser Arbeit formuliert wurden, kennengelernt hat "als solche, wie sie im Allgemeinen Schüler haben, die mehr zur intellektuellen Seite hinneigen".

Sie empfahl weiter: "Dass in all unseren Institutionen die sozialen Verhältnisse noch sehr im Argen liegen, ist bekannt, aber so sehr an die Entwicklung der jeweiligen Persönlichkeiten gebunden, dass es besser ist, `Misstände" als Prozesse aufzufassen, denn sie als Fehlentwicklung abzutun."

Prozesse sind Prozesse, Misstände sind Misstände. Uns darf nicht leiten, was uns angenehmer erscheint, sondern was ist. Eine derartig resignierte Haltung wird keinen Zentimeter vorwärts führen. Es gibt gewiss Institutionen, in denen lebendig gearbeitet wird; - auch andere gewiss. Doch darum geht es dem Verfasser gar nicht. Was wäre denn heute Anthroposophie ohne ihre Institutionen?

Der Sprachgestalter J. W. Ernst der uns die Situation der Kollegialität beschrieb, fügte noch folgende Sätze hinzu, die deutlich hilfreicher und produktiver sind, als die gerade beschriebene fruchtlose Kritik:

"Man muss sich eben aus dem Faulbett `Autoritätsanspruch´ erheben und muss diese Kunstder Kollegialität üben. Die gegenseitige Kollegialität ist die Kunst der Künste, ohne die es weder Sprachgestaltung noch irgend eine andere Kunst gibt."

Was allerdings gefragt werden muss ist ob überhaupt der Wunsch besteht, die anthroposophischen Institutionen in diesem Sinne einer künstlerischen Weltauffassung einzurichten im Hinblick auf ihre soziale Gestaltung.Erst wenn das geschieht, kann sich die Idee einer "Freien Hochschule" verwirklichen. Denn von dieser Idee und erst recht von der Verwirklichung dieser Idee sind wohl alle anthroposophischen Institutionen noch meilenweit entfernt. Darüber gibt es wohl keine zwei Meinungen. Auf die Frage nach dem Freien geistesleben wurde dem Verfasser von einem Institutionsleiter geantwortet: "Sie können mitmachen, was hier gewollt wird, oder, wenn es ihnen nicht passt, dann können sie auch gehen. Das ist Freies Geistesleben!"

 

Eine Äußerung einer Eurythmieschulleiterin einem anderen Eurythmisten gegenüber: "Dreigliederung ja, aber nur außerhalb der Grenzen meiner Schule!"

 

Die Frage nach dem Freien Geistesleben ist untrennbar verbunden mit der Frage nach künstlerischer Weltauffassung überhaupt. Diese Weltauffassung hat uns Rudolf Steiner in seinem ganzen Werk und Leben sichtbar werden lassen. Dass diese Auffassung viele Gegner hat, zeigt sich in der Vernichtung des größten Kunstwerkes, dass aus einer solchen künstlerischen Weltauffassung heraus entstanden ist: dem Ersten Goetheanum.Die Anthroposophen haben es sich nehmen lassenl. Diesem Impuls wieder zum Dasein zu verhelfen ist die Hauptaufgabe der musischen Künste. Allein, ohne andere "Fachbereiche" wie Landwirtschaft, und Wissenschaften kann die musische Kunst nicht viel ausrichten. Besteht nicht eine erschütternde Schicksalbeziehung zwischen dem "Bau", der "Dreigliederung" und den anthroposophisch orientierten Künsten? Muss nicht die Eurythmie bewusst für die Dreiglierung des sozialen Organismus arbeiten? Hängt nicht ihr eigenes Gegeihen von der Verwirklichung eines "Freien Geisteslebens" auf die Dauer ab? Auf jeden Fall wird nur etwas entstehen im Sinne dieses Impulses aus dem echten Interesse am anderen Menschen, denn dies liegtim Wesen der Anthroposophie begründet. Für die Eurytzhmie gilt: sie wird vergreisen, uns vielleicht wieder genommen, wie uns auch der "Bau" genommen wurde, verstehen wr nicht die vielfältigen Beziehungen, die z. B. die Eurythmie mit anderen so genannten "Fachbereichen" verbindet. Auch hier wäre ein Gespräch dringend erforderlich unter den Menschen, denen diese Fragen ein Herzensanliegen sind.

"Frischer Wein" darf nicht in "alte Schläuche", wenn er wirksam werden soll. In alten Institutions-Schläuchen gerht die Eurythmie höchstens in eine gewisse äußere Perfektion. Die soziale Gestaltung einer Institution dient nicht dem menschlichen Egoismus. Sie soll einen gesunden Rahmen bilden für das, was sich in ihr an Impulsen und Ideen ereignet. Kranken die Institutionen, dann kranken auch die Fachbereiche. In die Eurythmie wird sich dann immer mehr ein mechanistisches Element einschleichen, wie Krebs, und es besteht die Gefahr, die auch durch den Dilettantismus drohen kann, dass die Inspirationsquellen der Eurythmie immer mehr versiegen. Dann kann natürlich äußerlich alles "wunderbar" weiterlaufen. In einer geistentleerten äußerlichen Perfektion würde dann die Eurythmie zu einer ungeheuren Kulturlüge, die iene Verbindung zur geistigen Welt vorgaukelt. Dieser Veräußerlichung entgegen wirken der echte Dialog und eine Besinnung auf die Eurythmie als eines anthroposophischen Schulungsweges.

Max Thürkauf verlangt ein "Denken ÜBER die Physik und Chemie". Hier soll ein Denken ÜBER Eurythmie und Sprachgestaltung engregt werden. Ein solches Anliegen kann nur verwerfen,wem ein Vertrauen in die Künste fehlt.

Eine Beschreibung des Verhältnisses von Geisteslehrer und Geistesschüler in der abendländischen Einweihung sei als Abschluss zitiert:

"Sie (die abendländische Einweihung. d. Verf.) unterscheidet sich von der östlichen darin, dass die eine sich im Schlafzustand vollzieht und die andere im Zustand des Wachens, das heißt, dass sie die Trennung zwischen Ätherleib und physischem Leib vermeidet. In der abendländischen Einweihung bleibt der Einzuweihende unabhängig und der Lehrer ist nur ein Erwecker. Der abendländische Lehrer will weder herrschen noch bekehren, sondern allein erzählen, was er geschaut hat.

Welches ist nun die Art und Weise, wie man auf ihn zu hören hat? Es gibt in Wirklichkeit drei Arten zu hören: hören, indem man sich dem Wort als einer unfehlbaren Autorität unterwirft; hören, idem man sich auflehnt gegen das, was man hört; schließlich das einfache Hinhören ohne knechtischen und blinden Glauben, gewissermaßen ohne systematische Opposition, indem man einfach die Ideen auf sich wirken lässt und ihre Wirkungen beobachtet. So muss in der abendländischen Einweihung die haltung des Schülers seinem Lehrer gegenüber sein.

Was nun den Lehrer betrifft, so weiß er, dass er, um der Meister zu sein, der Diener sein muss. Es handelt sich für ihn nicht darum, die Seele seines Schülers nach seinem Bilde zu modeln, sondern ihr Rätselvolles zu ahnen und aufzulösen. Was er aber lehrt, ist nicht eine Glaubenslehre, oder vielmehr, es ist eine Lehre, die aber nur den Wert hat, indem sie der inneren Entwicklung dient. Jede Wahrheit, die nicht eine Lebenskraft ist, ist eine unfruchtbare Wahrheit. Deshalb ist es notwendig, dass jeder Gedanke Zugang zur Seele finde. Er tut dies nicht, wenn er nicht vom Gefühl durchströmt ist; sonst ist er ein totgeborener Gedanke." (Rudolf Steiner: Kosmogonie. GA 94. S. 41/42).

Diese Worte dürften jedem anthroposophischen Lehrer zumindest dem Sinn nach bekannt sein. Auch die, die gegen diese Haltung verstoßen, ohne es zu bemerken, tragen solche Worte häufig im Mund. Wie kann man erkennen, wie weit die Art der eigenen Tätigkeit diesen Worten entspricht? - Diese Frage soll unbeantwortet den Schluss dieses Aufsatzes bilden.

Vielleicht vermag diese Frage, eine Diskussion anzuregen.

Freiburg im Breisgau im Januar 1981.

Arfst Wagner